Die Möglichkeit von Quantencomputern steht bereits seit Jahrzehnten im Raum, doch erst durch die Durchbrüche in den vergangenen Jahren wird die Technologie immer greifbarer. Große IT-Firmen wie IBM und Google investieren massiv in die Entwicklung von Quantencomputern, auch China bringt beträchtliche Summen auf den Weg. Durch das Quanten-Flagship der Europäischen Kommission werden in zehn Jahren mehrere Milliarden Euro in Europa in die Entwicklung von Quantentechnologien investiert. Einer der Initiatoren ist Tommaso Calarco, der sich auch in seiner Arbeit am Forschungszentrum Jülich und der Universität Köln mit den Möglichkeiten von Quantencomputern beschäftigt. Vergangene Woche war er Vortragender bei den Technologiegesprächen, die im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach vom Austrian Institute of Technology und Ö1 organisiert worden sind.

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Ein Quantencomputer des Unternehmens Honeywell in Boulder, Colorado.
Foto: Reuters/Honeywell

STANDARD: Es ist viel einfacher, klassische Computer untereinander zu vergleichen als Quantencomputer. Woran liegt das?

Calarco: Für klassische Computer gibt es eine Standard-Architektur, die in den 1930er-Jahren von John von Neumann entwickelt worden ist und aus Prozessor, Speicher und Programmiersprachen besteht. Für den Quantencomputer gibt es so einen universellen Standard noch nicht, sondern ganz unterschiedliche Ansätze. Ein direkter Vergleich ist daher schwierig. Man kann nicht einfach die Gigahertzraten der Prozessoren vergleichen wie bei klassischen Computern, weil die Dauer von elementaren Rechenoperationen bei Quantencomputern je nach System sehr unterschiedlich ist.

STANDARD: Vor zwei Jahren hat Google eine Arbeit vorgelegt, wonach deren Quantencomputer beim Lösen eines speziellen Problems klassische Computer übertroffen hätte. Zuletzt behauptete auch ein chinesisches Team, so einen Quantenvorteil erreicht zu haben. Was ist davon zu halten?

Calarco: Diese Behauptungen sind solide, es handelt sich tatsächlich um wirklich wissenschaftliche Durchbrüche. Es sind nur leider vollkommen abstruse und praktisch unnützliche Probleme, bei denen gezeigt werden konnte, dass der Quantencomputer unschlagbar schneller ist als klassische Computer. Der nächste Schritt ist, dass wir Quantencomputer für Probleme einsetzen, die nicht nur von akademischem Wert sind, sondern auch praktischen Nutzen für die Gesellschaft haben.

STANDARD: Google hat vor einem Monat auch bekanntgegeben, eine Methode gefunden zu haben, mit der die Fehlerkorrektur bei Quantencomputern viel effizienter und schneller durchgeführt werden kann. Was halten Sie davon?

Tommaso Calarco leitet das Institut für Quantenkontrolle am Forschungszentrum Jülich.
Foto: Forschungszentrum Jülich

Calarco: Das finde ich außerordentlich spannend, die Arbeit ist wirklicher ein Durchbruch. Es war zwar klar, dass wir irgendwann so weit sein werden, aber dass man die Fehlerkorrektur schon jetzt durchführen kann, ist ein technologischer Traum. Das ist ein entscheidender Schritt nach vorne.

STANDARD:In welchen Bereichen werden die ersten Quantencomputer zum Einsatz kommen, weil sie dort klassische Computer übertreffen?

Calarco: Wir werden vom Quantencomputer nicht in dem Sinne profitieren, dass wir alle einen Quantencomputer zu Hause haben. Sondern dass es Quantencomputer geben wird, die spezielle Aufgaben für uns lösen, um unser Leben zu verbessern. Wir erwarten, dass die Simulation und Entwicklung neuer Materialien ein frühes Einsatzgebiet von Quantencomputern sein wird. Dabei geht es zum Beispiel darum, Materialien zu entwickeln, die Strom so weit wie möglich widerstandsfrei leiten können. Derzeit gibt es enorme Verluste beim Stromtransport: Ein Drittel der weltweit erzeugten elektrischen Leistung geht in den Leitungen verloren. Wenn wir dafür neue Materialien mit Quantensimulatoren entwickeln könnten, wäre das von großem Nutzen. Weiters eignen sich Quantencomputer für die Entwicklung neuer Chemikalien und pharmazeutischer Wirkstoffe.

STANDARD: Warum können solche Aufgaben besser mit Quantencomputern gelöst werden?

Calarco: Wenn ich zum Beispiel ein neues Medikament entwickeln will, muss ich wissen, wie dessen Moleküle funktionieren und wie sie mit ihrer Umgebung interagieren. Es ist extrem schwierig, Moleküle mit einem klassischen Computer zu simulieren, denn die Moleküle bestehen aus Atomen, und diese schwingen und stoßen sich gegenseitig ab. Erwin Schrödinger hat uns mit seiner berühmten Gleichung ein Werkzeug in die Hand gegeben, um das zu berechnen. Aber wenn es um mehr als nur ein paar Atome geht, ist das viel zu aufwendig. Quantencomputer eröffnen uns ganz andere Möglichkeiten: Wir können Atome in einer Maschine so kontrollieren, dass sie sich wie im Molekül verhalten.

STANDARD: Welche anderen frühen Anwendungen von Quantencomputern sind denkbar?

Calarco: Ein anderes Gebiet ist die Logistik. Große Konzerne wie DHL sind extrem daran interessiert. Denn der Postbote kann viel Zeit und Sprit sparen, wenn die Zustellrouten optimiert werden. Optimierungsaufgaben zählen zu jenen Bereichen, die Quantencomputer in der Zukunft hoffentlich viel effizienter lösen werden als klassische Computer.

STANDARD: Welche Vorteile bietet ein Quantencomputer dabei?

Calarco: Logistik zu optimieren ist vergleichbar mit der Aufgabe, den Ausweg aus einem Labyrinth zu finden. Will ich das mit einem klassischen Computer lösen, muss ich immer, wenn sich der Weg teilt, zunächst die linke Verzweigung probieren, dann die rechte und jede davon ist jeweils mit einem Bit codiert. Der Vorteil von Quantenbits ist, dass sie zwei Zustände gleichzeitig annehmen können – die sogenannte Superposition. Daher muss man nicht mehr einen Weg nach dem anderen im Labyrinth ausprobieren, sondern bei jeder Abzweigung geht das Qubit sowohl rechts als auch links. Man kann also parallel alle Möglichkeiten ausloten und kommt beim ersten Versuch auch beim Ausgang an. Das lässt sich allerdings nicht so unmittelbar verwenden, weil die Lösung dann abgelesen werden muss, welches die Superposition zerstört. Die nicht triviale Kunst der Quantenalgorithmen besteht darin, dabei den Vorteil der Quantencodierung nicht zu verlieren.

STANDARD: Immer mehr Forscher beschäftigen sich mit der Frage, wie sich Quantencomputer und künstliche Intelligenz zusammenführen lassen könnten. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?

Calarco: Meiner Meinung nach ist das ein Gebiet, das sehr aussichtsreich ist. Auch bei der künstlichen Intelligenz spielt die Optimierung eine wichtige Rolle, und dafür sind Quantencomputer sehr gut geeignet. Mit der EU-Initiative European Quantum Computing and Simulation (EuroQCS) wollen wir bis zur Mitte der Dekade hybride Systeme aus Supercomputern und Quantencomputern aufbauen. Die Verbesserung von künstlicher Intelligenz durch Quantencomputer könnte eine wichtige Anwendung sein.

STANDARD: Kann auch umgekehrt die künstliche Intelligenz dafür eingesetzt werden, Quantencomputer zu verbessern?

Calarco: Das ist eine Frage, die mir sehr am Herzen liegt. An meinem Institut in Jülich verwenden wir in der Tat künstliche Intelligenz, um Qubits zu kontrollieren. Ein Qubit zu kontrollieren, damit es die gewünschten Quantenoperationen durchführt, ist alles andere als trivial. Wir haben Optimierungsalgorithmen entwickelt, die auf klassischen Computern laufen und die es erlauben, Quantencomputer leistungsfähiger zu machen.

STANDARD: Sie sind einer der Initiatoren des EU-Flagships für Quantentechnologien. Wie steht Europa im internationalen Vergleich da?

Calarco: Jetzt ist ein sehr wichtiger und kritischer Moment. Das gesamte Know-how zu Quantentechnologien wurde größtenteils in Europa geschaffen. Um daraus markttaugliche Produkte zu erzeugen, wurden in Europa bereits einige Start-ups gegründet – zum Beispiel in Deutschland, Frankreich, Italien oder Österreich. Aber die kritische Masse ist noch nicht erreicht. In China werden viel mehr Ressourcen dafür eingesetzt, in Europa erworbenes Know-how zu Quantentechnologien in Wertschöpfung zu übertragen. Wenn sich Europa nicht bewegt, besteht daher die Gefahr, dass wir bei dieser Technologieentwicklung abgehängt werden. Zum Glück haben die Europäische Kommission und viele Regierungen das gerade noch rechtzeitig erkannt, damit wir jetzt mit den Flagship-Projekten starten können, um diese Kompetenzen in Europa zu halten.

Eine Illustration des Sycamore-Prozessors von Google: Google hat vor einem Monat auch bekanntgegeben, eine Methode gefunden zu haben, mit der die Fehlerkorrektur bei Quantencomputern viel effizienter und schneller durchgeführt werden kann.
APA/AFP/GOOGLE/HO

STANDARD: Wenige Meter vom Kongresszentrum Alpbach entfernt liegt Erwin Schrödinger begraben, der sich intensiv mit philosophischen Fragen der Quantenphysik beschäftigt hat. Welche Rolle spielen solche Überlegungen für die Entwicklung von Quantentechnologien?

Calarco: Die Frage nach den Grundlagen liegt mir auch sehr am Herzen. Wenn sich Physiker wie Erwin Schrödinger nicht aus Neugierde mit der Philosophie beschäftigt hätten, würden wir heute gar keine Quantentechnologie haben. Die Fragen nach den Grundlagen und der Philosophie sind extrem wichtig, denn sie können tiefliegende Perspektiven eröffnen.

STANDARD: Quanteneigenschaften wie die Superposition, durch die ein Objekt zwei Zustände gleichzeitig annimmt, vertragen sich nicht gut mit unserem Alltagsverständnis. Wenn Quantentechnologien in den kommenden Jahrzehnten immer stärker in die Anwendung kommen und unseren Alltag prägen – wie könnte das unsere Art zu denken verändern?

Calarco: Meine Hoffnung ist, dass sich unsere Art zu denken dadurch grundsätzlich ändern könnte. Vor ein paar Jahren habe ich mit Kollegen bei einer Konferenz in Kopenhagen diskutiert, wo die Quantenphysik in hundert Jahren stehen wird. Am meisten beeindruckt hat mich die Sichtweise von Carlton Caves, dem Begründer der Quantenmetrologie. Er hat gesagt, dass wir in 100 Jahren keine Interpretation der Quantenmechanik mehr brauchen werden.

STANDARD: Was ist damit gemeint?

Calarco: Es gibt grundlegende Paradoxien der Quantenmechanik, die wir noch nicht gelöst haben. Es geht zum Beispiel um die Frage, warum der Superpositionszustand zerstört wird, wenn eine Messung erfolgt. Wir brauchen daher Interpretationen, die uns eine Erzählung für diese merkwürdigen Ergebnisse der Quantenmechanik liefern. Eine dieser Interpretationen ist die Kopenhagener Deutung, wonach die Realität nicht lokal existiert. Eine andere ist die Viele-Welten-Interpretation, die annimmt, dass sich das Universum bei jedem Messprozess spaltet und daher eine unendliche Anzahl von parallelen Universen existiert. Welche Interpretation man bevorzugt, ist eine Frage der Weltanschauung. Aber vielleicht haben wir die Quantenphysik in hundert Jahren auch dank Quantentechnologien so gut verstanden, dass sie uns gar nicht mehr merkwürdig vorkommt. Vielleicht werden sich die Menschen dann denken: "Wie naiv waren doch die Menschen im 21. Jahrhundert, als sie dachten, all das wären Paradoxien – doch in Wahrheit haben sie nichts verstanden!" Bei den Interpretationen der Quantenmechanik muss ich auch immer an den siebenten Abschnitt des Tractatus von Ludwig Wittgenstein denken: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen." (Tanja Traxler, 3.9.2021)