Die Inflation hat in fast allen Industrieländern zugelegt, in Österreich hat die Teuerung im August 3,1 Prozent erreicht. Auch in der Eurozone liegt sie knapp über dem Zielwert der Europäischen Zentralbank (EZB) von zweit Prozent. Dennoch hat die EZB bisher die Zinsen nicht erhöht. Mehr noch: Bis Ende März will sie zusätzlich bis zu 500 Milliarden Euro in die Märkte pumpen und mit dem Geld vor allem Staatsanleihen kaufen, um die langfristigen Zinsen niedrig zu halten.

STANDARD: Es gibt Kritiker, die sagen, die Führung der Zentralbank agiere so wie einst der Kapitän der Titanic: Dieser steuerte auf den Eisberg zu und tat nichts. Die EZB unternimmt nichts gegen die Inflation. Verstehen Sie die Kritiker?

Holzmann: Vollständig. Es ist ja nicht so, dass die Entwicklung uns nicht zu denken gibt. Aber man muss die wichtigen Einflüsse sehen, die hinter der aktuellen Inflationsrate liegen. In der jüngeren Vergangenheit waren es vor allem die Kräfte der Globalisierung, die preisdämpfend gewirkt haben. Produktion wurde in Länder mit niedrigeren Löhnen verlagert, weshalb Konsumgüter nicht teurer, sondern teilweise sogar günstiger geworden sind. Es gibt keinen Grund zu glauben, dass diese dämpfenden Effekte verschwinden. Sie wirken weiter. Sie werden nur überlagert von vorübergehenden Effekten.

STANDARD: Von welchen?

Holzmann: Jeder von uns ist inzwischen daraufgekommen, dass er in seinem Lieblingsrestaurant etwas mehr zahlt. Aber das waren einmalige Preiserhöhungen, die Preise steigen nicht mehr in dem Maße weiter. Zugleich ist es gerade bei langfristigen Konsumgütern wie Autos und Kühlschränken weltweit zu einer ganz deutlichen Teuerung gekommen. Aber es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sich diese Entwicklung fortsetzt.

STANDARD: Toyota hat gerade verkündet, dass man im September fast 400.000 Autos weniger bauen kann, weil Mikrochips fehlen. Werden die Probleme bei den Lieferketten unterschätzt?

Holzmann: Möglich ist es, aber unwahrscheinlich. Toyota will ja Autos verkaufen. In der Zwischenzeit gibt es also beträchtliche Investition in die Produktion von Chips. Wie immer in solchen Situationen werden wir wahrscheinlich schon in einem Jahr ein Überangebot an Chips sehen. Das kann sogar zu einem Unterschießen der Preise in diesem Segment führen.

STANDARD: Wie lange rechnen Sie mit einem Anstieg der Preise in Österreich, bis in die erste Jahreshälfte 2022?

Holzmann: Wenn man die Preise vergleicht, tut man das im Regelfall, indem man die Entwicklung Monat zu Monat im Vergleich zum Vorjahr setzt. Wir hatten 2020 einen beträchtlichen Einbruch in vielen Sektoren im Vergleich zu 2019. Inzwischen sind die Preise wieder gestiegen, das bedeutet, dass die weiteren Steigerungen im kommenden Jahr nur noch gering sein werden.

STANDARD: Ab wann wird Inflation zum Problem, ab welcher Höhe?

Holzmann: Wenn wir nun im kommenden Jahr eine Inflation hätten, die bei weit über drei Prozent oder bei vier Prozent ist, ohne absehbare Tendenz des Nachlassens, dann würden vermutlich bei allen die Alarmglocken schrillen. Nachdem nun die Inflation lange Zeit unter unserem Zielwert gelegen ist, ist es aber kein Problem, wenn die Inflation, so wie aktuell, für ein paar Monate oder ein halbes Jahr überschießt, vor allem wenn erwartet wird, dass die Preissteigerungen wieder nachlassen.

Robert Holzmann: Die hohe Inflation in Österreich bleibt eine Ausnahmeerscheinung in der Eurozone.
Foto: Hendrich

STANDARD: Obwohl die Inflation höher liegt, kauft die EZB weiterhin jedes Monat Staatsanleihen für viele Milliarden Euro. Sehen Sie das nicht kritisch?

Holzmann: Ich sehe es kritisch in dem Sinne, wenn man sagen wollte, trotz weiterer Erholung der Wirtschaft will man die Anleihenkäufe des Pandemic Emergency Purchase Program (PEPP) über das derzeit geplante Ende im März 2022 weiterlaufen lassen. Wir haben im Moment außerdem keine fixen Ankäufe mehr, sondern die Summen sind abhängig von den Finanzierungsbedingungen. Wenn die Inflationsrate so hoch ist wie aktuell, gibt es sehr gute Gründe zu sagen, im Herbst und im Frühjahr brauchen wir nicht mehr das gesamte Geld auszugeben, sondern können weniger machen. Das sind die Diskussion, die wir kommende Woche haben werden.

STANDARD: Man hat das Gefühl, die EZB will nicht aufhören, weil das an Finanzmärkten für Wirbel sorgen könnte. Aber Ziel der EZB ist Preisstabilität, nicht die Frage, ob Märkte sensibel reagieren oder nicht.

Holzmann: Inflation ist nicht etwas, das sich auf Knopfdruck ein- und ausschalten lässt. Wir haben uns in der EZB darauf geeinigt, dass wir bereit sind, eine Inflation von über zwei Prozent vorübergehend zu akzeptieren, um die Inflationserwartung etwas nach oben zu treiben, nachdem die Preissteigerungen lange unterdurchschnittlich waren. Daher also die ruhige Hand jetzt. Hinzu kommt, dass die Inflation auf europäischer Ebene in Ländern wie Frankreich, Italien und Spanien weit unter dem Niveau in Deutschland oder Österreich liegt. Österreich und Deutschland sind also eher die Ausnahmen. Daher bedarf es dieses Abwartens.

STANDARD: Inflation wird dann zum Problem, wenn eine Lohn-Preis-Spirale in Gang kommt. Bald starten in Österreich die Lohnverhandlungen der Metaller. Sehen Sie da ein Risiko?

Holzmann: Das hängt vom Abschluss ab. Die Gewerkschaften werden in die Verhandlungen hineingehen und sagen: "Wann, wenn nicht jetzt, sollen die Löhne steigen?", zumal sie im vergangenen Jahr zurückhaltend waren. Die Unternehmer werden argumentieren, gerade jetzt geht es nicht. Also wird man einen Kompromiss finden. Wichtig ist, und da stimmen beide Seiten überein, dass die Lohnsteigerungen nicht über der Summe aus dem Anstieg des Preisniveaus und des Produktivitätszuwachses liegen sollten. Wenn das passiert, dann ist der Weiterbestand des Unternehmens gefährdet oder es entwickelt sich eine Inflationsspirale. Aber beides will man nicht.

STANDARD: Derzeit gibt es viele Klagen über fehlende Arbeitskräfte. Wird das den Lohndruck erhöhen?

Holzmann: Durch die Pandemie ist der Arbeitsmarkt unterbrochen gewesen, das führt zu einem Anpassungsprozess, der noch nicht abgeschlossen ist. Nun gibt es Bereiche wie die Gastronomie, wo die Löhne in der Folge wahrscheinlich etwas steigen werden. Hier wollen derzeit nicht alle Beschäftigen zurückkommen, dies ist auch durch ausländische Arbeitskräfte nicht wettzumachen. Zugleich gibt es Kräfte, die dagegenwirken. Nachdem die Lockdowns zu Ende gegangen sind, wollen wieder mehr Menschen essen gehen. Aber so groß ist diese Nachfrage nicht, wie es erwartet worden war. Manche Restaurantbesitzer werden höhere Löhne also nicht zahlen wollen und können. (András Szigetvari, 1.9.2021)