Wut und Sorgen wegen der Corona-Pandemie entluden sich auch in Wien, wie hier auf einem Foto vom März 2021 zu sehen ist.

Foto: Imago

Seit knapp eineinhalb Jahren bestimmt die Corona-Pandemie das gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Leben in Österreich. Welche Gräben das Virus hierzulande und in der EU aufgerissen hat, zeigt nun eine großangelegte Studie der Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR). Insbesondere zur Rolle des Staates und zur Auffassung von Freiheit unterscheiden sich die Antworten massiv, wobei sich laut den Studienautoren starke Bruchlinien zwischen Ländern und Generationen zeigen.

Jeder sechste Österreicher fühlt sich "nicht frei"

"Während es in der Anfangsphase der Corona-Pandemie so aussah, als würden die Europäerinnen und Europäer zusammenrücken und sich auf eine gemeinsame Vorgehensweise einigen, haben sich seither tiefe Gräben aufgetan, die sich ähnlich gravierend darstellen könnten wie jene während der Euro- und der Flüchtlingskrise", sagte Mark Leonard, Gründungsdirektor des ECFR.

In Österreich fühlte sich demnach jeder sechste Befragte "nicht frei". Mehr als ein Drittel (36 Prozent) misstrauten der türkis-grünen Bundesregierung, was die Beweggründe für Lockdowns betrifft. Rund die Hälfte (51 Prozent) der befragten Personen in Österreich gab hingegen an, von der Pandemie "überhaupt nicht" getroffen zu sein. Zum Vergleich: Der Höchstwert wurde in Dänemark gemessen (72 Prozent), der niedrigste Wert in Ungarn (35 Prozent). Gerade in Süd- und Osteuropa hätte die Pandemie mehrheitlich für wirtschaftliche und persönliche Probleme gesorgt, während in West- und Nordeuropa laut Studienautoren das Gegenteil der Fall gewesen sei.

"Beunruhigender" Alterskonflikt

Nur 22 Prozent der Europäer würden sich derzeit "frei" fühlen. Zum Vergleich: Vor zwei Jahren hätten sich noch 64 Prozent "frei" gefühlt. Insbesondere in Polen hätten die Befragten mehrheitlich (62 Prozent) das Gefühl, dass die staatlich verordneten Einschränkungen ein Vorwand seien, "um Kontrolle über die Bevölkerung auszuüben". In Österreich vertrauen 65 Prozent der Befragten den Begründungen der Bundesregierung für die Beschränkungen. Europaweit glauben 17 Prozent, die Regierungen würden versuchen, "die Gesellschaft zu kontrollieren".

Die politischen Führungskräfte müssten sich jetzt um die "Probleme der Jungen" kümmern, fordern die Studienautoren.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Neben den geografischen Unterschieden beim "Freiheitsempfinden" zeigt die Untersuchung einen zunehmenden und "beunruhigenden" Alterskonflikt. Insbesondere junge Menschen fühlen sich von der Pandemie betroffen. Während sich bei den über 60-Jährigen fast zwei Drittel (64 Prozent) nicht von der Krise betroffen fühlen, gibt die Mehrheit (57 Prozent) der unter 30-Jährigen an, in den letzten achtzehn Monaten mit Krankheitsfällen und wirtschaftlichen Belastungen konfrontiert gewesen zu sein. Ihrem Empfinden nach würden sie zudem die Hauptlast der Nachwirkungen tragen.

16.267 Befragte in zwölf EU-Mitgliedsstaaten

"Eine der bisher offensichtlichsten Folgen – und möglicherweise die dramatischste – ist die Kluft zwischen den Generationen. In ganz Europa haben sich die Regierungen zu Recht darauf konzentriert, die Leben der Älteren zu retten, aber das hatte seinen Preis. Eine ganze Generation hat das Gefühl, dass ihre Zukunft zum Wohle ihrer Eltern und Großeltern geopfert wurde", sagte Ivan Krastev, Vorsitzender des Centre for Liberal Strategies, das ebenfalls an der Untersuchung beteiligt war. In Europa sei es nun an der Zeit, "dass sich die politischen Führungskräfte auf die Probleme der Jungen konzentrieren".

Für die Studie wurden 16.267 Personen in zwölf europäischen Ländern befragt, darunter 1.014 in Österreich. Ebenso untersucht wurden Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande, Polen, Portugal, Spanien, Schweden und Ungarn. Die Befragungen fanden in den Monaten Mai und Juni 2021 statt. Die Umfrage ist laut den Studienautoren repräsentativ und umfasst in den untersuchten Ländern mehr als 300 Millionen EU-Bürger. (Matthias Balmetzhofer, 1.9.2021)