In den nächsten Wochen sollen eine Staffelung des Arbeitslosengelds genauso wie die Zuverdienstgrenze im Fall einer Arbeitslosigkeit diskutiert werden.

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Arbeitsminister Martin Kocher wünscht sich einen evidenzbasierten Diskurs.

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Konkrete Aussagen hat Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) beim Startschuss zum "Reformdialog der Arbeitslosenversicherung neu" am Mittwoch tunlichst vermieden. Wichtig sei ihm ein evidenzbasierter und ideologiefreier Diskurs und dass es eine große Differenz zwischen Menschen gebe, die hunderte Bewerbungen schreiben, und Personen, die Vollzeit arbeiten könnten, dies aber nicht machen, weil das System nicht die entsprechenden Anreize biete. Diese sollen nun in einem mehrwöchigen Diskussionsprozess gefunden werden.

Erst auf Nachfragen zur Höhe des Arbeitslosengeldes und der Zuverdienstgrenze sowie zu schnelleren Vermittlungen von Arbeitslosen spricht Kocher diesbezüglich von drei "interessanten Punkten, über die man diskutieren kann". Jedenfalls auszuschließen sei aber eine Diskussion zur Abschaffung der Notstandshilfe.

Degressives Modell

Das Arbeitslosengeld macht derzeit 55 Prozent des letzten Nettoverdienstes aus. Ein neuer Berechnungsansatz könnte ein degressives Modell sein, bei dem das Arbeitslosengeld zunächst höher ausfällt und dann stufenweise geringer wird. Bereits in einem STANDARD-Interview Anfang des Jahres hat Kocher dieses Modell als Alternative angedacht.

Damals hat er von einer Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 70 Prozent des Nettoeinkommens und einer späteren Absenkung auf die derzeit berechneten "55 Prozent oder auch etwas darunter" gesprochen.

In der ZiB2 verteidigte
Kocher seine Reformvorschläge.
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Bei dieser Pressekonferenz scheint der Arbeitsminister dieser Idee ebenfalls nicht abgeneigt. "Es wird sicher Thema sein. Soweit ich informiert bin, wurde es auch bei den Koalitionsgesprächen diskutiert", sagt Kocher. Auch eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes schließt er nicht aus.

Trotzdem zeigen sich Vertreter der Arbeiterkammer skeptisch. "Solange die Nettoersatzraten auch bei längerer Arbeitslosigkeit nicht unter 55 Prozent fallen, können wir über ein degressives Modell reden", sagt Arbeitsmarktsprecher Gernot Mitter. Frühere Vorschläge des Wirtschaftsbundes und der türkis-blauen Regierung hätten eine Senkung von bis zu 40 Prozent vorgesehen. Eine derartige finanzielle Verschlechterung steht für die Arbeiterkammer nicht zur Debatte. Stattdessen müssten die Geldleistungen "armutsfest gemacht und das Arbeitslosengeld erhöht werden".

Die Arbeiterkammer fordert zudem, wie im Übrigen auch der grüne Koalitionspartner, eine generelle Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 70 Prozent des Nettoersatzes. "Dieser kann sich aber auch aus Familien- oder Bildungszuschüssen ergeben", sagt der grüne Arbeitsmarktsprecher Markus Koza, und was das degressive Modell betreffe, so müssten die 55 Prozent stehenbleiben.

Zuverdienstgrenze

Weniger Diskussionspotenzial bietet hingegen die Frage der Zuverdienstgrenze. Diese liegt derzeit bei 475,86 Euro pro Monat. Die Debatte keimte auf, nachdem AMS-Chef Johannes Kopf vergangene Woche vorgeschlagen hatte, über eine Abschaffung der Nebenverdienste nachzudenken.

Auch aufseiten der Wirtschaftskammer sieht man diese Überlegungen als "zielführend". Es sei erwiesen, dass die Kombinationsmöglichkeit von geringfügiger Beschäftigung und Arbeitslosengeld eindeutig die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds verlängere. Der grüne Arbeitsmarktsprecher Koza hält dem eine parlamentarische Anfrage von 2016 entgegen.

Diese habe gezeigt, dass die Bezugsdauer bei geringfügig Beschäftigten um 60 Tage kürzer war als bei nicht geringfügig Beschäftigten. "Über Zuverdienstgrenzen können wir erst reden, wenn wir einen guten, intensiven, sozialen Ersatz haben", sagt Koza. Auch bei den Zumutbarkeitsbestimmungen sieht er keinen Ausbaubedarf. "Wir wollen positive Anreize schaffen. Das Sanktionsregime ist bereits ausgereizt."

Ergebnisse im Dezember

Einig sind sich Koalitions- sowie Sozialpartner in einem Punkt: Arbeitslose müssen schneller vermittelt werden. Die Arbeiterkammer fordert dafür "dringend mehr Personal". Laut Mitter würden derzeit 600 bis 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Arbeitsmarktvermittlung fehlen.

Bereits im Dezember sollen erste Zwischenergebnisse präsentiert werden, die aus Gesprächen mit Sozialpartnern, Sozialsprechern im Parlament sowie Experten, aber auch betroffenen Personen hervorgehen sollen. Auch Systeme anderer Länder würden betrachtet, sagt Kocher. Im ersten Quartal 2022 soll das Reformpaket stehen. Ein straffer Zeitplan also. (Julia Beirer, 1.9.2021)