Die Naturräume in Europa sind teilweise in äußerst schlechtem Zustand, was die EU-Staaten gemeinsam dazu veranlasst hat, Maßnahmen zu ergreifen. Der Nature Restoration Action Plan soll bis Ende 2021 ausgearbeitet sein und sieht vor, dass die Mitgliedsländer rechtlich bindend 15 Prozent ihrer Ökosysteme bis zur Jahrhundertmitte auf Vordermann bringen.

Welche Wälder, Felder, Grasländer, Weinbaugebiete, Moore und Auen in Österreich am sinnvollsten restauriert werden, haben nun Experten der Universität Wien, des Umweltbundesamtes und des Bundesforschungszentrums für Wald (BFW) in einer Studie identifiziert. Die Instandsetzungsmaßnahmen würden demnach 10,7 Milliarden Euro kosten und könnten bis 2050 abgeschlossen sein.

Im Wald sollten alte Bäume stehen gelassen und standorttypische Baumarten gepflanzt werden.
Foto: APA/Forstgut Wallersberg

Wald: Alte Bäume stehen lassen und neue pflanzen

Beim Wald, der etwa die Hälfte der Fläche Österreichs bedeckt, fanden die Forscher das beste Restaurierungspotenzial in Teilen des Wald- und Weinviertels in Niederösterreich, des Mühlviertels in Oberösterreich und in der östlichen Steiermark. Dort sollte man den Anteil an Totholz und alten, mächtigen Bäumen (Veteranenbäumen) erhöhen, gebietsfremde Arten entfernen, sowie eine vielfältige, standorttypische Baumartenzusammensetzung pflanzen, erklärte Florian Danzinger vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Uni Wien: "Also sich auf teils weniger schnellwüchsige, aber für die heimische Artenwelt wertvolle Bäume besinnen, und manche davon stehen lassen, auch wenn sie schon lange hiebreif sind." Dafür müssten die Waldbewirtschafter freilich finanziell belohnt werden.

"Für die grünlandgeprägten Kulturlandschaftstypen wurden vor allem das Waldviertel (NÖ), das Inn- und Hausruckviertel (OÖ) und der Flachgau (Salzburg) als Schwerpunktregionen identifiziert", so die Forscher. Beim Ackerbau priorisierten sie das westliche Wein- und das östliche Waldviertel, die Thermenlinie und das Marchfeld in Niederösterreich, sowie im Burgenland die Regionen Parndorfer Platte und Neusiedlersee-Seewinkel. Beim Weinbau sollten sich die Anstrengungen auf Teile des Weinviertels und die Region Neusiedlersee-Seewinkel konzentrieren.

Auch Kulturlandschaften (im Bild Weinberge im Kremstal) sollen mit Hecken, Baumzeilen und Blühstreifen aufgelockert werden.
Foto: imago images / Rainer Mirau

Auflockerung der Kulturlandschaften

In den landwirtschaftlich genutzten Grünflächen, Feldern, Weingärten und Obstplantagen sollten mehr Zwischenstrukturen geschaffen werden, so Danzinger. Die teils riesigen Flächen würden enorm von Hecken, Baumzeilen und Blühstreifen profitieren. "Das ist auch wichtig für die Klimawandelfitness, weil sie die Winderosion und Abspülung durch Starkregen vermindern und im Winter den Schneefang gewährleisten", sagte er.

Dieser Nutzen würde aber nicht die Zusatzkosten und den Verlust an Ernteflächen aufwiegen. Deshalb bräuchte es zusätzliche Förderungen. Bei den Obstplantagen sollte durch finanzielle Anreize erreicht werden, dass manche weniger intensiv genutzt werden und die Betreiber auf Hagelnetze und Ähnliches verzichten, meint der Forscher. Durch Strukturmaßnahmen und extensive Bewirtschaftung würde in all diesen Gebieten auch der "landschaftsästhetischen Wert" steigen.

Moore, Auen und Schilfgebiete

Bei den Auen und Mooren sehen die Studienautoren Restaurierungsbedarf im Osten Österreichs, zum Beispiel beim Schilfgürtel des Neusiedlersees, dessen Verlandungsmoor mit einer Fläche von 9.600 Hektar zu den größten europäischen Schilfgebieten zählt, aber auch in den Alpen. Die alpinen Moore sollte man von vorhandenen Drainagen befreien und alle paar Meter "Spundwände" aus Holz einziehen, die den Wasserabfluss verlangsamen. Dadurch bilden sich kleine, wassergefüllte Staustufen, wo Torfmoos und andere Sumpfpflanzen gedeihen. "Bei den Auen ist es vor allem wichtig, wieder eine Fließwasserdynamik zu ermöglichen", so Danzinger. Altarme sollten wieder an die Hauptgewässer angeschlossen und mit einer ausreichenden Wassermenge dotiert werden.

Ein Hochmoor am Gerzkopf im Salzburger Pongau.
Foto: TVB Filzmoos/Coen Weesjes

Die Forscher sortierten in der Studie die verschiedenen österreichischen Ökosysteme und Landschaften nach allen möglichen vorhandenen Daten in vier "Degradationsstufen". "Es war eine große methodische Herausforderung, das Ganze einheitlich darzustellen, weil je nach den Ökosystemen ganz unterschiedliche Daten zur Verfügung gestanden sind", sagte David Paternoster vom Umweltbundesamt. Dennoch konnten sie eine datenbasierte Einschätzung abliefern. "In anderen europäischen Ländern musste man stärker auf eine auf Experteneinschätzung basierte Darstellung setzen, das wollten und konnten wir in Österreich vermeiden", erklärte er.

Mitnahmeeffekt berücksichtigen

Nachdem sie den Zustand der jeweiligen Ökosysteme eingeschätzt hatten, suchten die Forscher mögliche Zusatznutzen bei einer Restauration. "Zum Beispiel, dass sie innerhalb von Schutzgebieten liegen oder ein Netzwerk von Lebensraumkorridoren erweitern", sagte Danzinger. Manche der als sehr schlecht eingestuften Landschaften sind deshalb nicht in der Priorisierungsliste, weil es schwer wäre, sie instand zu setzen, und es keinen Mitnahmeeffekt gäbe. Dafür sind andere Gebiete in den 15 Prozent der für den jeweiligen Ökosystemtyp priorisierten Gebiete, weil ihre Instandsetzung zusätzliche Vorteile für den Natur- und Klimaschutz bringt.

Der vom Umweltministerium in Auftrag gegebene Priorisierungs-Bericht wird aktuell beim Erstellen der österreichischen Biodiversitätsstrategie berücksichtigt, so Paternoster. (red, APA, 5.9.2021)