"Niemand soll sich für sein Vaterland schämen müssen", sagte der Bundespräsident seinerzeit anlässlich des Ibiza-Skandals. Und zum selben Thema: "Wir sind nicht so." Diese Worte von Alexander Van der Bellen wurden damals allenthalben zitiert. Heute zitiert man die Worte des angesehenen luxemburgischen Außenministers Jean Asselborn: Österreich (und Slowenien) "verlieren die Qualität, Europäer zu sein", weil sie "die direkte menschliche Solidarität mit dem gefolterten Volk von Afghanistan ablehnen".

Es hagelt Kritik an Kanzler Sebastian Kurz und Innenminister Karl Nehammer.
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Bundeskanzler Sebastian Kurz und seine Türkisen beharren bekanntlich darauf, dass wir auf keinen Fall auch nur eine einzige Afghanin oder einen einzigen Afghanen in Österreich aufnehmen wollen.

Auch nicht, wenn sie in unmittelbarer Lebensgefahr schweben. Auch nicht, wenn es sich um hochqualifizierte Menschen handelt, die wegen ihres Eintretens für Frauen- und Menschenrechte verfolgt werden.

Und wir wollen Afghanen, die schon hier sind, weiterhin abschieben. Wenn nicht nach Afghanistan, weil das momentan unmöglich ist, dann eben in an Afghanistan grenzende Staaten, die freilich auch unsicher sind und auch keine Flüchtlinge aufnehmen wollen.

Eine der stets wiederholten Rechtfertigungsargumente für diese Politik lautet, Österreich hätte ohnehin schon mehr als genug Afghanen aufgenommen und beherberge eine der größten afghanischen Communitys in Europa.

Hagel an Kritik

Das Letztere stimmt, das Erstere ist problematisch. Was heißt "aufgenommen"? Die meisten der hier lebenden Afghanen wollen wir liebend gern loswerden. Viele warten seit Jahren auf ihr Asylverfahren, vielen, die längst gut integriert oder sogar hier geboren sind, verweigern wir die Staatsbürgerschaft. In diesem Licht betrachtet, klingen die Beteuerungen, Österreich hätte "seinen Beitrag längst geleistet", einigermaßen hohl.

Zahlreiche Österreicher, die meisten Qualitätsmedien, die Kirchen, die Opposition und viele Grüne sind denn auch entsetzt über den Stand der Dinge. Es hagelt Kritik an Kanzler Sebastian Kurz, Innenminister Karl Nehammer und Außenminister Alexander Schallenberg. Man spricht von Unmenschlichkeit und Schande. Aber können alle diejenigen, die mit der Regierungspolitik nicht einverstanden sind, wirklich sagen, "wir sind nicht so"?

Unsere Regierung ist demokratisch gewählt und hat, wenn man den Leserbriefen und den sozialen Medien glauben will, eine Mehrheit der Bevölkerung in ihrer Antiflüchtlingspolitik auf ihrer Seite. Es sind nicht die sympathischsten Leute, die um keinen Preis verfolgten Fremden helfen wollen, aber es sind viele. Und sie sind auch "wir". Niemand soll sich für sein Vaterland schämen müssen? Doch, das müssen wir. Wir sind nicht so? Doch, wir sind so.

Einen Trost freilich gibt es: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde seinerzeit, als sie sagte, "wir schaffen das", viel geschmäht und kritisiert. Heute wird sie allgemein bewundert. Möglich, dass es hierzulande eines Tages ähnlich kommt. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 2.9.2021)