Die Europäer mögen schockiert sein, wie rasch und konsequent die USA Afghanistan verlassen haben. Gründe, sich darüber zu mokieren oder lautstark vor Not und Tod von Millionen Menschen zu warnen, haben sie nicht. Das wäre Heuchelei. Insbesondere die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten müssen sich vielmehr selbst an der Nase nehmen.

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EU-Politiker suchen nach Ad-hoc-Lösungen zur Nothilfe.
Foto: AP/Johanna Geron

Sie haben komplett versagt, ihre Truppen haben das Land beinahe panisch, fluchtartig verlassen. Man war auf eventuell nötige Nothilfe nicht vorbereitet. Eindringliches Zeichen für diese Schwäche ist der Flughafen von Kabul. Er ist nach dem Abzug des letzten US-Soldaten nicht mehr verfügbar.

Wenn nun von manchen EU-Politikern verlangt wird, man müsse doch gefährdete Frauen und Kinder "rausholen", um sie vor den Taliban zu schützen – Richterinnen bevorzugt –, stellen sich ernste Fragen: Im Prinzip richtig, aber wie denn? Und durch wen? Die Europäer sind ohne USA und Briten allein nicht einmal in der Lage, den Kabuler Flughafen zu sichern.

Umso hektischer wird jetzt nach Ad-hoc-Lösungen gesucht, weil nichts vorbereitet war und ist. Für die Nachbarstaaten soll es eine Milliarde Euro geben, um Flüchtlingsströme Richtung Europa abzuhalten. Einige EU-Staaten errichten hohe Grenzzäune. Da und dort sind Länder bereit, ein paar Tausend Afghanen aufzunehmen, die für den Westen gearbeitet haben. Aber von einer abgestimmten, durchdachten und machbaren Flüchtlingspolitik kann keine Rede sein. Es ist fast wie 2015. (Thomas Mayer, 1.9.2021)