Ein Bild einer Demonstration gegen die Afghanistan-Politik der österreichischen Regierung. Eine Umfrage des Gallup-Instituts zeigt allerdings, dass die Mehrheit nicht für eine Evakuierung von gefährdeten Personen aus Afghanistan ist. Abschiebungen nach Afghanistan befürworten 38 Prozent, obwohl 88 Prozent die Taliban als Bedrohung für die afghanische Bevölkerung sehen.

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Das Willkommensklima kühlt ab. So betitelt das Meinungsforschungsinstitut Gallup seine aktuelle Umfrage (Infos zur Methode bzw. Teilnehmerzahl siehe "Wissen") zur Situation in Afghanistan und der Frage, wie man in Österreich damit umgehen soll. Konsens herrscht darüber, dass die Taliban für die afghanische Bevölkerung eine Gefahr darstellen: 88 Prozent halten die Bedrohung für groß bzw. sehr groß.

Hilfe vor Ort mit höchster Zustimmung

Geteilt fällt hingegen die Einschätzung aus, wie Österreich mit dieser Bedrohung der afghanischen Bevölkerung umgehen soll: Fünf Prozent beantworten die Frage "Wie soll Österreich mit einer möglichen Flüchtlingswelle aus Afghanistan umgehen?" mit der "uneingeschränkten Aufnahme von Flüchtlingen", 39 Prozent sind für humanitäre Hilfe vor Ort und eine sofortige Aufnahme von besonders gefährdeten Personen – in der Umfrage werden Frauen, Kinder, politisch Verfolgte, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten genannt. Die österreichische Bundesregierung ist bekanntlich gegen eine solche Aufnahme. Fast genauso viele, 38 Prozent, sind ausschließlich für humanitäre Hilfe vor Ort bzw. in der Region – und unterschreiben damit die ÖVP-Position. Zwölf Prozent sagen "Österreich soll gar nichts tun", und sechs Prozent haben keine Antwort gegeben.

ÖVP- und Grün-Anhänger mit konträrer Sicht

Das Thema entzweit laut den Gallup-Daten die Anhänger der Regierungsparteien: Während 75 Prozent der Grün-Sympathisanten Hilfe vor Ort und die gleichzeitige Aufnahme von besonders gefährdeten Menschen aus Afghanistan befürworten, sind ÖVP-Affine zu nur 26 Prozent für diese Option. 58 Prozent der ÖVP-Anhängerschaft sehen die Lösung ausschließlich in lokalen Hilfsmaßnahmen. Anhänger der Oppositionsparteien SPÖ und Neos bevorzugen mehrheitlich eine selektive Aufnahme von Geflüchteten einschließlich Hilfe vor Ort (58 Prozent und 59 Prozent), jene der FPÖ sind zu 53 Prozent nur für Hilfe vor Ort und zu 30 Prozent dafür, gar nichts zu tun.

Abschiebungen zweigeteilt

Auch das Thema Abschiebung von Afghaninnen und Afghanen polarisiert: 38 Prozent der Bevölkerung sprechen sich trotz der Machtübernahme der Taliban – die ja die Mehrheit als Gefahr einschätzt – für eine Fortsetzung der Abschiebungen nach Afghanistan aus, nur ein wenig mehr Menschen – 42 Prozent – sind für einen vorläufigen Abschiebestopp. Der Vorschlag der Bundesregierung zur Rückführung von Asylwerbern in die Nachbarländer Afghanistans findet hingegen mit 68 Prozent eine klare Mehrheit. Auch hier gehen die Meinungen der Anhänger der beiden Regierungsparteien weit auseinander: 83 Prozent der ÖVP- und 43 Prozent der Grün-Sympathisanten können dieser Idee etwas abgewinnen.

Keine Mehrheit für ein gemeinsames EU-Vorgehen

Was also tun? Nicht einmal die Hälfte – 48 Prozent – ist der Meinung, dass die EU bezüglich Afghanistan und einer möglichen Fluchtbewegung federführend agieren sollte, 43 Prozent sprechen sich hingegen für die Selbstverantwortung der Nationalstaaten aus. Für ein EU- Vorgehen sprechen sich überdurchschnittlich häufig Personen jüngere Menschen – bis 30 Jahre (60 Prozent) – und Menschen mit einer höheren Schulbildung (62 Prozent), die Anhänger der Grünen (78 Prozent), der SPÖ (68 Prozent) und der Neos (63 Prozent) aus. Für eine nationale Strategie im Umgang mit Afghanistan-Flüchtlingen sind vor allem die FPÖ-Sympathisanten (74 Prozent).

Mehrheit sieht Politik von 2015 rückblickend als falsch an

"Die Unschlüssigkeit der Bevölkerung bei der Entscheidung für ein nationales oder EU-weites Vorgehen spiegelt die Erfahrung wider, dass es von beiden Seiten bisher keine zufriedenstellenden Lösungen in der Flüchtlings- und Asylpolitik gab," kommentiert die Leiterin des Gallup-Instituts, Andrea Fronaschütz, die Ergebnisse der Befragung.

Denn die Erinnerung an die Flüchtlingspolitik von 2015 und die Wahrnehmung der Migrationspolitik in den Jahren danach würde eine große Rolle bei der Einschätzung der jetzigen Situation spielen. "Die Mehrheit der Bevölkerung ist rückblickend der Ansicht, dass die Aufnahme von Flüchtlingen eine falsche Entscheidung der damaligen Regierung war", sagt Fronaschütz. Die Daten aus der Umfrage dazu: 37 Prozent sagen, es war "überhaupt nicht richtig", dass 2015 die Grenzen geöffnet und Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen wurden, 24 Prozent sagen "eher nein" – 32 Prozent hielten die Entscheidung 2015 hingegen für richtig bzw. eher richtig (elf bzw. 21 Prozent).

Sorgen um die Sicherheit

Die Flucht- und Migrationsbewegungen der letzten Jahre haben auch Auswirkungen auf das Sicherheitsempfinden: 68 Prozent der Befragten sehen durch Menschen, die nach Österreich flüchten, die Sicherheit im Land bedroht, 61 Prozent sehen eine Gefahr für die österreichischen Werte und Identität. Und um den Wohlstand machen sich 46 Prozent Sorgen.

Was die EU tun soll

Fronaschütz zufolge ist für diese Ängste die öffentliche Debatte über Kriminalität im Zusammenhang mit Zuwanderung verantwortlich. "Die Angst um die eigene Sicherheit lässt das Bedürfnis nach Schutz entstehen. Damit erklärt sich auch die hohe Zustimmung zur Stärkung des EU-Außengrenzschutzes gegen illegale Einwanderung." 72 Prozent befürworten diese Maßnahme vollkommen bzw. eher.

Andere Vorschläge zur Bewältigung einer möglichen Fluchtbewegung auf EU-Ebene erhalten nicht so viel Zuspruch: Einem "Flüchtlingsdeal" mit Afghanistans Nachbarstaaten (zum Beispiel Pakistan, Iran, Usbekistan) stimmen 65 Prozent zu. Finanzielle Hilfe aus Brüssel für EU-Staaten, die freiwillig Flüchtlinge aufnehmen, heißen 63 Prozent gut. Eine Quotenregelung zur Umverteilung von Flüchtlingen in den EU-Staaten inklusive Aufnahmepflicht ist für 51 Prozent eine Option, die Schaffung von legalen und sicheren Fluchtrouten nach Europa, um Flüchtlingen gefährliche Wege zu ersparen und Menschenschmuggel zu bekämpfen, für 52 Prozent. (Lara Hagen, 2.9.2021)