Eine Taliban-Patrouille in Kabul am Donnerstag.

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Kabul – Mehr als zwei Wochen nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan wollen die radikalen Islamisten in Kürze ihre Regierung vorstellen. Im Präsidentenpalast von Kabul werde dafür aktuell eine Zeremonie vorbereitet, erklärte ein Taliban-Vertreter am Donnerstag in den sozialen Medien. Der Privatsender Tolo meldete, die Verteilung der Ministerposten werde in Kürze bekanntgegeben.

Die Regierungsbildung gilt als Voraussetzung dafür, dass die Taliban von der internationalen Gemeinschaft überhaupt als rechtmäßige neue Regierung anerkannt werden und dann auch Hilfe bekommen können. EU und USA knüpfen eine Anerkennung an Zusagen einer neuen Regierung, dass etwa Menschenrechte eingehalten und weiter Afghanen ausreisen dürfen.

Flughafen von Kabul im Gespräch

Die katarische Regierung zeigte sich am Donnerstag "hoffnungsvoll", dass der Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul bald wieder geöffnet werden kann. "Was den Flughafen betrifft, befinden wir uns noch im Evaluierungsprozess", sagte Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al-Thani bei einer Pressekonferenz in Doha. "Es gibt noch keinen klaren Hinweis darauf, wann er vollständig betriebsbereit sein wird. Wir arbeiten daran, zu identifizieren, welche Probleme und Risiken für die Wiederinbetriebnahme des Flughafens bestehen", sagte Al-Thani. Bei dem Thema werde es hoffentlich "in den nächsten Tagen" gute Nachrichten geben. In Doha halten sich führende Taliban-Vertreter auf.

Katars Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al-Thani bei der Konferenz am 2. September.
Foto: KARIM JAAFAR

Sein britischer Kollege Dominic Raab betonte, dass Großbritannien eine Regierung der militant-islamischen Taliban "in absehbarer Zeit" nicht anerkennen werde. Allerdings gebe es einen "wichtigen Rahmen für Engagement und Dialog" mit der Gruppe, die in Afghanistan nach dem Abzug der Alliierten die Macht übernommen hat.

Auf Anerkennung angewiesen

Angesichts eines drohenden Zusammenbruchs der Wirtschaft sind die Taliban darauf angewiesen, dass internationale Geldgeber ihnen Legitimität zusprechen. In einem Interview mit der italienischen Tageszeitung "La Repubblica" teilte Zabiullah Mujahid, der Sprecher der Islamisten, mit, man setze künftig vor allem auf Geld aus China. "China ist unser wichtigster Partner und zeigt sich bereit, in Afghanistan zu investieren und unser Land neu aufzubauen." Die Taliban hielten sehr viel von dem Projekt der "Neuen Seidenstraße". Dabei handelt es sich um eine Infrastrukturinitiative, mit der China über die Erschließung von Handelswegen seinen globalen Einfluss vergrößern will.

Durch das Chaos der jüngsten Wochen und die Machtübernahme der Taliban haben westliche Staaten ihre Hilfszahlungen für das Land am Hindukusch teils stark eingeschränkt. Mit der Hilfe Chinas kämpfen die Taliban künftig um ein wirtschaftliches Comeback, sagte der Sprecher. In dem Land gebe es "reiche Kupferminen, die dank der Chinesen wieder in Betrieb genommen und modernisiert werden können. Außerdem ist China unser Passierschein hin zu den Märkten auf der ganzen Welt."

Frauen sollen "studieren dürfen"

Darüber hinaus bekräftigte Mujahid, dass Frauen künftig weiter an Universitäten studieren dürften. Er stellte den Frauen des Landes Arbeitsmöglichkeiten etwa als Krankenschwestern, bei der Polizei oder als Assistentinnen in Ministerien oder der Verwaltung in Aussicht. Dass es weibliche Ministerinnen geben werde, schloss er aber aus. Ob diese Ankündigungen von den Taliban tatsächlich eingehalten werden, ist derzeit noch unklar.

Zudem ermunterte Mujahid westliche Staaten wie etwa Italien zu diplomatischen Kontakten mit den neuen Machthabern in Afghanistan. "Wir wollen gute Beziehungen mit Italien wiederherstellen und hoffen, dass euer Land unsere islamische Regierung anerkennt. Ich hoffe, dass dieses Interview die diplomatischen und politischen Beziehungen stärkt und dass Italien seine Botschaft in Kabul wieder öffnet."

Lobende Worte aus Russland

Dank erhielten die Taliban am Donnerstag jedenfalls aus Russland: Der Kreml hat sie für den Schutz russischer Diplomaten gelobt. "Für unsere Diplomaten gibt es gewisse Sicherheitsgarantien vonseiten der Taliban", sagte Sprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. Bisher werden diese Garantien alle eingehalten, erfüllt", erklärte Peskow während einer Reise mit Präsident Wladimir Putin im äußersten Osten Russlands.

Es bleibe abzuwarten, was die ersten Schritte der Taliban sein werden, sagte der Kreml-Sprecher mit Blick auf die russisch-afghanischen Beziehungen. "Für uns ist natürlich in erster Linie wichtig, dass Afghanistan nicht zum Zufluchtsort für eine Vielzahl terroristischer Gruppierungen wird." Der Kreml hatte stets betont, vor einer möglichen Anerkennung der militant-islamistischen Taliban, die in Russland als terroristische Organisation verboten sind, ihre ersten Handlungen bewerten zu wollen.

Moskau steht seit langem in Verhandlungen mit den Taliban – sieht deren Siegeszug in Afghanistan aber auch mit Sorge. Befürchtet wird, dass Terroristen in Zentralasien in ehemals sowjetisches Gebiet eindringen könnten und der Drogenschmuggel in der Region zunehmen wird.

Das Aufnahmezentrum des Roten Kreuzes in Avezzano– Italien hat 5.000 Flüchtlinge aufgenommen.
Foto: MASSIMO PERCOSSI

Kirchen fordern Handeln der EU

Vor dem Hintergrund der EU-Ministertreffen zu Afghanistan haben die Kirchen in Europa indes zu Hilfe für bedrohte und flüchtende Personen aufgerufen. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten sollten sich an die Spitze internationaler Solidaritätsbemühungen stellen, erklärten der Präsident der ökumenischen Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), Christian Rieger, und der Vorsitzende der EU-Bischofskommission Comece, Kardinal Jean-Claude Hollerich, laut Kathpress in Brüssel.

Die Kirchen appellierten an die EU, bei der Einrichtung humanitärer Korridore sowie der Schaffung anderer sicherer Wege mitzuwirken, um Flüchtlinge an sichere Orte außerhalb Afghanistans zu bringen. Afghanen, die sich bereits in der EU aufhielten, sollten einen sicheren Aufenthalt erhalten; Abschiebungen nach Afghanistan müssten unterbleiben.

Angesichts der Grausamkeiten in Afghanistan gehe es um den Beweis, dass die Werte der EU "nicht leere Rhetorik" seien, sondern über politische oder wirtschaftliche Überlegungen hinausführten, erklärten die Kirchenvertreter. Die internationale Gemeinschaft riefen sie zum Schutz unterdrückter und gefährdeter Personen in Afghanistan auf. Neben zivilgesellschaftlichen Akteuren, Christen und Angehörigen anderer Religionen nannten sie ausdrücklich auch sexuelle Minderheiten.

Österreich: 119 Personen evakuiert

Laut Außenministerium sind bisher insgesamt 119 Österreicher oder dauerhaft in Österreich lebende Afghanen aus Afghanistan evakuiert worden. Weiterhin befinden sich aber "einige Dutzend" österreichische Staatsbürger im Land, wie eine Sprecherin am Donnerstag auf Anfrage mitteilte. Seit Ende der Evakuierungsflüge vor einer Woche müssen Flüchtende Afghanistan auf dem Landweg verlassen. Das wird dadurch erschwert, dass die Grenzen zu den Nachbarländern geschlossen sind.

Das Außenministerium bemühe sich daher in enger Kooperation mit den Nachbarländern, Einreisevisa für die Österreicher zu organisieren und auf Wunsch auch Schutzbriefe, hieß es. Die konsularische Unterstützung könne allerdings erst ab der Grenze geleistet werden – die Krisenteams befinden sich zum Teil in der usbekischen Hauptstadt Taschkent. Einige Personen, die sich in den vergangenen Wochen beim Außenministerium gemeldet hätten und für die schon Einreisevisa organisiert worden seien, hätten sich allerdings offenbar entschieden, vorläufig in Afghanistan zu bleiben, teilte das Außenministerium mit.

Tadschikistan übt Kritik an internationalen Organisationen

Diejenigen, die versuchen, über die grüne Grenze in Nachbarländer zu fliehen, erhielten nun eine Absage von Tadschikistan: Nach eigenen Angaben hat das Land nur beschränkte Möglichkeiten zur Aufnahme afghanischer Flüchtlinge. Innenminister Ramazon Hamro Rahimzoda beklagte eine mangelnde internationale Unterstützung bei der Unterbringung der Flüchtlinge. Sein Land habe Gelände für die Flüchtlingsaufnahme ausgewiesen, internationale Organisationen hätten aber keine "praktische Unterstützung" geleistet.

"Deshalb gibt es in Tadschikistan keine Möglichkeit, eine große Zahl an Flüchtlingen aufzunehmen", fügte er hinzu. Der Innenminister hatte den für Tadschikistan zuständigen Vertreter der UN-Flüchtlingsorganisation getroffen. Dabei sagte er der Nachrichtenagentur zufolge auch, dass Tadschikistan 5.000 während der Machtübernahme der Taliban geflohene afghanische Soldaten "friedlich zurückgebracht" habe.

Kurz vor dem Sieg der Taliban hatte die Regierung in Duschanbe zugesagt, 100.000 afghanische Flüchtlinge aufnehmen zu können. Kurz darauf hatte sie dies jedoch eingeschränkt, unter anderem mit Verweis auf die Corona-Pandemie. Rahimzoda nannte nun zudem die Gefahr der Einreise von "Terroristen in andere Länder". (APA, Reuters, red, 2.9.2021)