Im Wahlkampf 2019 hatte Wolodymyr Selenskyj eine zentrale Botschaft: die Bekämpfung der Korruption in der Ukraine. Das Thema passte perfekt zum Image des bekannten TV-Satirikers. In der Serie Diener des Volkes spielte er immerhin einen Lehrer, den seine Online-Tiraden gegen Machtmissbrauch ins Amt des Präsidenten spülen – ein Szenario, das schließlich von der Realität eingeholt wurde.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.
Foto: imago images/Ukrinform

Dass im echten höchsten Staatsamt Schluss mit lustig ist, wird Selenskyj nicht überrascht haben. Denn auch in der echten Ukraine gibt es mächtige Seilschaften, die an einem Strukturwandel nicht interessiert sind. Zudem unterminiert der Druck aus Russland durch die Annexion der Krim und die Unterstützung der Separatisten im Donbass jene Stabilität, die eine wichtige Voraussetzung wäre für gutes Regieren.

Doch gibt es auch in Kiew Stimmen, die davor warnen, sich zu sehr als Opfer russischer Aggression darzustellen und die Ursachen des Reformstaus geopolitisch auszulagern. Die Kritik ist nicht unberechtigt, zumal aktives Ringen um Transparenz der angestrebten West-Orientierung Nachdruck verleihen würde. Ein Teufelskreis, auf den Moskau mit Häme reagiert. Um ihm zu entkommen, braucht Kiew mehr als die nun zugesagte US-Militärhilfe. Aufmerksamkeit und Unterstützung verdienen auch die jungen zivilgesellschaftlichen Strukturen der Ukraine, die die heimische Entwicklung kritisch sehen – und ihr Land genau dadurch auf Reformkurs halten. (Gerald Schubert, 3.9.2021)