Jetzt hat die schwarze Volkspartei ihr Bekenntnis zum türkisen Führerprinzip von 2017 erneuert und bis auf weiteres bekräftigt. Die bei dieser Gelegenheit erzeugte Jubelstimmung ist allerdings über den Tagungsort nicht weit hinausgedrungen, die Berichterstattung vom Ereignis in den Medien war durchwegs verhalten bis kritisch.

Auch wohlwollenden Blättern konnte nicht entgehen, dass sich in St. Pölten 539 Delegierte am Nasenring einer messagekontrollierenden Parteitagsregie zu einer Abstimmung ziehen ließen, deren Ergebnis in der Sehnsucht gründet, Wahlen zu gewinnen, egal wie und womit, und kaum in einer sachlichen Beurteilung der politischen Leistungen des Führers seit seiner Installation. Die 98,7 Prozent von damals nach der gescheiterten Wunschkoalition mit den Freiheitlichen, nach der Premiere eines parlamentarischen Misstrauensantrags mit einjähriger Zwangspause und mitten im Dauerkrieg mit dem ungeliebten grünen Notnagel auf 99,4 Prozent zu steigern setzt nordkoreanische Parteidisziplin voraus.

Sebastian Kurz wurde in St. Pölten als ÖVP-Chef wiedergewählt.
Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Natürlich kann man keinen Delegierten zwingen, auf einem Parteitag von seinem demokratischen Recht Gebrauch zu machen, sich zu Wort zu melden, und sei es auch nur innerhalb der ihm zugestandenen zwei (!) Minuten Redezeit. Vielleicht war das vielen zu wenig, um zu einer tiefschürfenden Jubeltirade auf den großen Vorsitzenden auszuholen. Nicht einer der 539 Delegierten hatte etwas zu Österreichs brennendem Problem mit der Scharia zu sagen? Von den anderen Themen aus der Wundertüte des vorgegebenen Leitantrags ganz abgesehen.

Innerparteiliche Realitäten

Die politischen Parteien sehen sich gern als das Salz der Demokratie, und ohne sie gäbe es keine, behaupten sie gerne, wenn an ihrer Rolle in derselben gezweifelt wird. Dieser Anspruch verliert jede Glaubwürdigkeit, wenn die Demokratie nicht schon in ihren Reihen beginnt, wie das hierzulande ja auch vorgesehen ist. Das Anliegen müsste sein, die Diskussion zu fördern, möglichst viele Meinungen zu hören, auf dass sich daraus die gemeinsame bilde. Das ist nun gewiss zu schön, um innerparteiliche Realitäten exakt abzubilden. Aber gewisse Grenzen des demokratischen Anstands sollte man einhalten, wobei nicht nur die Regisseure verpflichtet sind. Auch die sogenannte Basis ist demokratisch gefordert, ihren Beitrag zu leisten.

Um sich und die Umwelt ihrer politischen Absichten für den Rest der Legislaturperiode zu versichern, hätte die ÖVP diesen Parteitag nicht abzuhalten brauchen. Das hätte man auch auf einer Pressekonferenz erledigen können, so bescheiden und leicht als Vorwand zu erkennen war es. Das einzige, an sich durchaus legitime Ziel der Veranstaltung war es, Sebastian Kurz den Rücken zu stärken. Wie man laut hören konnte, gegen die vereinigte Opposition, etwas leiser gegen die Justiz.

Beides wäre überflüssig gewesen. Von der Opposition hat er nichts zu fürchten, solange er die Grünen bei der Stange halten kann, und gegen die Justiz werden ihm – hoffentlich – auch keine 99,4 Prozent bei einem Parteitag helfen. Wenn Kurz, wie er behauptet, bis 2024 durchregieren will, war die St. Pöltener Show in ihrer Kombination von Armut an politischen Ideen und überbordendem Personenkult zu früh angesetzt. Beim nächsten Mal 105 Prozent könnte dem Wähler leicht übertrieben erscheinen. (Günter Traxler, 3.9.2021)