Die MA 35 ist nicht nur für Einwanderungsfragen zuständig. Auch Einbürgerungen laufen in Wien über die Abteilung.

foto: apa/hochmuth

Wien/Salurn – Als Stefan Wedra in einer Presseaussendung davon las, dass ab September 2020 nicht nur NS-Verfolgten selbst, sondern auch Nachfahren von Opfern des Naziregimes die österreichische Staatsbürgerschaft offenstehe, zögerte er nicht lange. Der Personalberater im Südtiroler Salurn, ein deutscher Staatsbürger, machte eine Einbürgerungsanzeige.

Dabei bezog er sich auf den Tod seiner Großmutter, Alexandra Wedra. Die als Großfürstin Daschkow im zaristischen Russland auf die Welt gekommene, vor den Bolschewiken geflüchtete Frau war durch ihre Heirat Österreicherin geworden. Sie litt an schweren Depressionen und lebte in einer psychiatrischen Anstalt.

Alexandra Webra wurde 1940 in Schloss Hartheim ermordet.
Foto: privat

Als psychisch Erkrankte ermordet

Am 11. September 1940 wurde sie in Schloss Hartheim bei Eferding vergast – eine von 30.000 psychisch kranken Menschen, die allein in Hartheim euthanasiert, sprich auf staatlichen Befehl ermordet wurden. Insgesamt fielen der Nazi-Euthanasie in Österreich 200.000 bis 300.000 Menschen zum Opfer.

Er habe Österreich immer als sein Heimatland betrachtet, sagt Wedra. Die Staatsangehörigkeit verlor er mit acht Jahren, als sein Vater aus beruflichen Gründen Deutscher wurde. Nun hegte er die Hoffnung, den österreichischen Pass auf Grundlage des – wie er meinte – "großzügig ausgestalteten Versöhnungsakts" wiederzuerlangen.

MA 35 lehnte ab

Doch leider, auf Wedras Antrag bei der Wiener Ausländer- und Staatsbürgerschaftsabteilung 35 – die für die meisten der inzwischen 16.598 Wiedereinbürgerungsanzeigen von NS-Opfer-Nachfahren zuständig ist – kam kein Okay. Sondern ein Anhörungsprotokoll mit der Ankündigung einer Ablehnung.

Grund dafür: Wedras Großmutter habe sich nicht "ins Ausland begeben". Das jedoch sei eine zwingende Voraussetzung für die Wiedereinbürgerung von Nachfahren laut Paragraf 58c des Staatsbürgerschaftsgesetzes.

Nur Flucht oder Emigration gelten

Tatsächlich sieht besagte Regelung eine Emigration oder Flucht als Bedingung für das Wiedererlangen des österreichischen Passes vor. Die Antragsteller oder, bei Angehörigen, Vorfahre oder Vorfahrin müssen die österreichische Staatsbürgerschaft oder jene eines "Nachfolgestaates der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie" besessen haben oder aber staatenlos gewesen sein. Auch ein Hauptwohnsitz im Bundesgebiet ist Voraussetzung.

Stefan Wedra will die österreichische Staatsbürgerschaft.

Vor allem besagte Ausreisebedingung schließe viele Nachfahren aus, kritisiert Wedra: "So schaut keine ernstgemeinte Versöhnung aus." Er vermutet, dass es noch etliche andere durch die MA 35 abgelehnte Anträge gebe, weil Vorfahren innerhalb der Grenzen des damaligen Deutschen Reiches ermordet oder aber vor der Tötung deportiert wurden. Auch wer in ein Konzentrationslager im besetzten Osten kam, habe sich dorthin nicht "begeben", sondern sei zwangsweise hingebracht worden.

Jabloner fordert Änderung

Beim Einbürgerungsangebot an NS-Opfer-Nachfahren kranke es wirklich, sagt der Restitutionsexperte Clemens Jabloner. "Bei der Novelle von Paragraf 58c im Jahr 2019 war man sehr auf Emigranten und ihre Nachkommen fixiert. Dass es gleichzuhaltende Angehörigenkonstellationen gibt, die ein Recht auf Staatsbürgerschaft bedingen, hat man nicht bedacht."

Nun bestehe eine Ungleichbehandlung von Ausländern untereinander, sagt der Ex-Vizekanzler und Ex-Präsident des Verwaltungsgerichtshofs. Die Sache müsse vor Höchstgerichten bekämpft werden, so die Regierung nicht selbst eine Initiative setze. (Irene Brickner, 3.9.2021)