Auch im ehemaligen MAN-Werk in Steyr spürt man den Chipmangel.

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Nach der Belegschaft, die sich vom Lkw-Hersteller MAN verraten fühlt, ist auch der neue Eigentümer des Werks in Steyr, Siegfried Wolf, hörbar genervt vom früheren Eigentümer. MAN hätte mitteilen müssen, dass die Halbleiterlieferungen nicht im erforderlichen Ausmaß erfolgen können. Daraufhin sei mit dem Arbeitsmarktservice über Kurzarbeit verhandelt worden, sagte Wolf am Donnerstag in Steyr.

Der Anlass des Unmuts: Nach BMW in Steyr, wo 800 von 4.400 Beschäftigten in Kurzarbeit geschickt wurden, trifft es nun die mitten in den Verhandlungen über Gehaltskürzungen und Stellenabbau steckende Steyr Automotive. Er hoffe, sagte Wolf, mit "Halbarbeit" im September über die Runden zu kommen. Grund ist offenbar der weltweite Mangel an Halbleitern.

Dank Kurzarbeitsmodell werde es nur zu "marginalen Anpassungen" für die Mitarbeiter kommen, suchte der frühere Magna-Chef Optimismus zu verbreiten. Aber den September werde es wohl brauchen, um den Mangel in den Griff zu bekommen. Material sei zugesagt worden. Dabei ist Steyr Automotive vom bisherigen Eigentümer, der Volkswagen-Nutzfahrzeug- und -Autobustochter MAN in München, abhängig. Das Werk habe volle Auftragsbücher, aber auch einen vollen Hof mit angezahlten Fahrzeugen, die nicht fertiggebaut werden können, weil beispielsweise die Elektronik für das ABS fehle. "Gott sei Dank braucht ein Lkw nicht so viele Halbleiter wie ein Luxusfahrzeug." Immerhin die Lackiererei könne weiterhin Vorarbeiten leisten.

Kurzfristig und preisbewusst

Mit dem Problem sind die Lkw-Bauer in Steyr nicht allein. Der Chipmangel hält die Industrie seit einem Jahr auf Trab. "Autoprofessor" Ferdinand Dudenhöffer sieht das Problem teilweise als hausgemacht an: "Die Autobauer bestellen extrem kurzfristig, und sie sind extrem preisbewusst, die Preise werden gedrückt. Da darf man sich angesichts des global gestiegenen Bedarfs in der Elektronik- und Computerindustrie nicht wundern, wenn bei den Anbietern hinten rausfällt, wer gerade einmal drei Monate im Vorhinein geordert hat", skizziert der Experte des Car Automotive Center der Uni Duisburg-Essen das Dilemma. Halbleiterhersteller wie Infineon hätten dies bereits beklagt, geändert habe sich nichts, sagt Dudenhöffer.

Die Folge: Eine restriktive Vorgangsweise, es gebe "überwachte Zuteilungen" an Bezieher. Wolf appelliert an die EU, für ein gemeinsames Vorgehen zu sorgen: "Wir sind nur so stark, wie wir uns verbünden." 70 bis 75 Prozent der Halbleiter werden in einer Region in Fernost produziert. Wenn China die Kontrolle über Hongkong habe und allenfalls auch nach Taiwan greife, seien 85 Prozent der Produktion in einer Hand.

Kurzarbeit wegen Chipmangels kennzeichnet derzeit die gesamte europäische Fahrzeugindustrie, bei vielen stehen derzeit die Bänder still. Dudenhöffer schätzt, dass deshalb die weltweite Autoproduktion um etwa fünf Millionen Fahrzeuge geringer ausfallen wird. Insgesamt wird die Erzeugung mit knapp 75 Millionen daher doch deutlich unter dem Rekord aus dem Vorkrisenjahr 2019 von 79,9 Millionen Autos bleiben.

Folgen der Auslagerung

Die Produktionsausfälle sind auch eine Folge davon, dass die Erzeuger in der Vergangenheit die Entwicklung und Produktion technologischer Bauteile an Zulieferer ausgelagert haben. Diese kommen nun mit der Fertigung nicht nach, da auch bei vielen anderen Produkten, in denen Mikrochips verbaut sind, wie bei Autos die Nachfrage sprunghaft gestiegen ist.

Auf den Mangel reagiert die Autoindustrie nun mit Produktionsanpassungen. Die vorhandenen Bauteile werden entweder in Fahrzeugen verbaut, in denen eine geringe Zahl an Mikrochips benötigt wird, oder bevorzugt in Automodellen mit den höchsten Gewinnmargen. Dies ist ein Grund, warum die Branche trotz der Engpässe in der Produktion wieder Rekordgewinne verbuchte. Laut der Beratungsgesellschaft EY erzielten die 16 größten Autokonzerne der Welt im ersten Halbjahr insgesamt einen operativen Gewinn von 71,5 Milliarden Euro, mehr als je zuvor.

Nachfrage übertrifft Angebot

"Die Branche hat mit den eingeleiteten Kostensenkungsmaßnahmen gegengesteuert", sagt Gerhard Schwartz, Partner bei EY Österreich. Zudem hat heuer der Wind gedreht, es müssten keine Rabatte mehr gewährt werden. "Die Nachfrage ist derzeit größer als das Angebot", erklärt Schwartz.

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Mikrochips sind wegen der dynamischen Konjunkturerholung ein knappes Gut. Bei Autoerzeugern stehen deshalb die Bänder still, sie erzielen dennoch Rekordgewinne.
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Zu einem Umdenken bei den Erzeugern hat auch der Wandel zur Elektromobilität geführt. VW will etwa bei E-Autos wieder auf Chips und Software aus eigener Produktion setzen. Schließlich gelten diese Fahrzeuge als Computer auf Rädern, die Berater von KPMG gehen davon aus, dass in einem Fahrzeug mit Elektroantrieb die Kosten für verbaute Chips um das 20-Fache höher ausfallen als bei Verbrennern. Kurzfristig sollten die angekündigten Investitionen von Chipriesen wie Intel oder Samsung in zusätzliche Kapazitäten den Mangel nächstes Jahr verringern.

Zurück nach Steyr. Die Gespräche mit den Mitarbeitern des früheren MAN-Werks liefen "weit besser, als erwartet", weil die Zukunftsperspektive gut sei – und die Auftragsbücher voll. Er rechne in zwei, drei Wochen mit einem "größeren partnerschaftlichen Abschluss", sagt Wolf.

Wie mehrfach berichtet, soll die Stammbelegschaft von rund 1.900 Beschäftigten um 500 dezimiert werden. Wer bleibt, dessen Nettogehalt wird um bis zu 15 Prozent gekürzt. Angestellte verlieren nur zehn Prozent, allerdings werden Überstundenpauschalen gestrichen, was unterm Strich aufs Gleiche hinausläuft. Als Entschädigung gibt es bis zu 10.000 Euro an Übertrittsprämie.

Geförderte Forschung

Konturen nimmt die von Bund und Land geförderte Forschungsgesellschaft am Standort von Steyr Motive an. Es geht um eine breite Palette von modularen Batterien für Nutzfahrzeuge, Brennstoffzellen, Konzepte für E-Antriebs-Integration, Wasserstoffverbrennungsmotoren und alternative Antriebsplattformen. Starten soll die Forschung Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) zufolge 2022/2023.

Hintergrund der Forschungsgesellschaft ist die Absicherung des Industrie- und Automobilstandorts Oberösterreich mit 280 Unternehmen mit einer Wertschöpfung von 3,6 Milliarden Euro und mehr als 31.000 Beschäftigten. Neben Elektrifizierung und Digitalisierung gewinnen laut einer vom Land Oberösterreich in Auftrag gegebenen Studie auch Werkstoffe an Bedeutung. (Luise Ungerboeck, Alexander Hahn, 2.9.2021)