Für deutsche Fahrgäste wird der Streit zur Geduldprobe.

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Berlin – Geplatzte Reisepläne, ausgefallene Züge und viele Verspätungen: So geht es für Kundinnen und Kunden der Deutschen Bahn auch in den nächsten Tagen weiter. Der Konzern scheiterte am Freitag endgültig damit, den laufenden Streik noch vor dem Wochenende vor Gericht zu stoppen. Die Lokführergewerkschaft GDL kündigte an, wie geplant bis Dienstag um zwei Uhr zu streiken. In Österreich fallen ebenfalls einzelne grenzüberschreitende Züge, insbesondere Nachtzüge, aus.

Die Deutsche Bahn will aber am Wochenende mehr Züge auf die Strecken bringen als zuletzt. Fest steht: Reisende müssen mit Einschränkungen und vollen Zügen rechnen. Kunden seien daher gut beraten, Reisen zu verschieben. Auch Bahnreisende in Österreich sollten sich genau erkundigen, wenn ihre Reise Richtung Deutschland führt. Auf ihrer Webseite bittet die ÖBB Reisende, sich über den Reiseplaner Scotty, die ÖBB-App oder unter der Kundentelefonnummer 05-1717 über Auswirkungen zu informieren.

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Auch die ÖBB ist teilweise vom Streik betroffen – sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr.
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Gerichtsentscheidung rechtskräftig

Begonnen hatte der dritte Streik der laufenden Tarifrunde am Donnerstag im Personenverkehr und am Mittwoch bei der Güterbahn. Das hessische Landesarbeitsgericht in Frankfurt lehnte am Freitag in zweiter Instanz eine einstweilige Verfügung gegen die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) ab. Die Gerichtsentscheidung ist rechtskräftig, die Revision ist in dem Eilverfahren ausgeschlossen, wie eine Justizsprecherin sagte.

"Wir haben im Interesse unserer Kunden alles unternommen, damit die GDL ihre Blockade der Tarifverhandlungen aufgibt", sagte Bahn-Personalvorstand Martin Seiler. Die Deutsche Bahn prüft nun vor Gericht, ob sie die Lokführergewerkschaft GDL für die wiederholten Streiks auf Schadenersatz verklagt. Das sagte eine Sprecherin am Freitag in Frankfurt/Main.

"Wir lassen uns von niemandem vorschreiben, wann und wie lange ein Arbeitskampf geht", sagte hingegen der Vorsitzende der Lokführergewerkschaft GDL, Claus Weselsky.

Viele Zugausfälle

Am Donnerstag und Freitag konnte wegen des Streiks nur etwa jeder vierte Fernzug fahren. Am Wochenende sollen es etwa 30 Prozent sein, kündigte die Bahn an. Im Regional- und S-Bahnverkehr sind rund 40 Prozent der Züge unterwegs, mit stärkeren Einschränkungen im Osten und einigen Metropolregionen. Im Güterverkehr stauten sich am Freitag mehrere hundert Züge.

Mehr als 6.000 Beschäftigte hatten nach Zahlen der Bahn die Arbeit niedergelegt, die meisten von ihnen Lokführer oder Zugbegleiter. Aufgerufen waren auch Mitarbeiter in der Infrastruktur, den Werkstätten und auf den Bahnhöfen. Laut Bahn folgten dort aber nur wenige dem Aufruf.

Fronten verhärtet

Die Fronten in dem Tarifkonflikt bleiben verhärtet, obwohl beide Seiten am Freitag abermals betonten, zu Verhandlungen und zu Kompromissen bereit zu sein. Die GDL will 3,2 Prozent mehr Geld für die Beschäftigten bei einer Laufzeit des Tarifvertrags von 28 Monaten. Die Deutsche Bahn bietet 3,2 Prozent an, will die einzelnen Erhöhungsschritte aber später umsetzen als die Gewerkschaft. Das Unternehmen stellt eine Laufzeit von 36 Monaten in Aussicht sowie die geforderte Corona-Prämie von bis zu 600 Euro.

Vor Gericht stritten die Parteien besonders über eine Klausel, mit der die GDL ihre Tarifverträge auch für Mitglieder durchsetzen will, die in Betrieben arbeiten, in denen eigentlich die Konkurrenzgewerkschaft EVG in der Mehrheit ist. Nach Auffassung des Gerichts muss diese Klausel ins Leere laufen, sie mache aber nicht den gesamten Streikaufruf unwirksam. Die Kammer prüfte auch, ob die Lokführer einen illegalen Unterstützungsstreik für die anderen Bahn-Beschäftigten leisten.

GDL-Chef Claus Weselsky wies das Bahn-Tarifangebot zurück.
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Die Ziele der GDL seien rechtmäßig, sagte Weselsky nach dem Gerichtstermin. Personalchef Seiler betonte hingegen, das Gericht habe klar zum Ausdruck gebracht, dass die GDL-Tarifverträge nur in Betrieben zur Anwendung kommen, in denen die Gewerkschaft eine Mehrheit habe. Die Klausel sehe es als rechtswidrig an. Deshalb könne sie in den weiteren Verhandlungen nicht verwendet werden.

Seiler äußerte die Sorge, dass die Tarifrunde der Tarifautonomie in Deutschland schaden könnte. "Statt zu verhandeln, versucht die GDL ein Tarif-Diktat durchzusetzen." Ihre totale Kompromisslosigkeit sei mit der Verantwortung von Tarifpartner nicht vereinbar.

Gewerkschaftskonkurrenz

Die GDL konkurriert bei der Bahn mit der größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft. Diese stellt in einem Großteil der rund 300 Bahnbetriebe die Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder, folglich gilt nach dem Tarifeinheitsgesetz dort ihr Tarifvertrag, nicht der der GDL. Das Gesetz kommt bei der Bahn in diesem Jahr erstmals zur Anwendung.

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz und das Arbeitsministerium verteidigten das 2015 verabschiedete Gesetz am Freitag. In der Öffentlichkeit wächst aber zusehends die Kritik am Streik. Der Fahrgastverband Pro Bahn und der Deutsche Städte- und Gemeindebund forderten ein sofortiges Ende und neue Verhandlungen.

Verdi-Chef Frank Werneke sagte, das Tarifeinheitsgesetz gebe Arbeitgebern die Möglichkeit, Gewerkschaften gegeneinander auszuspielen. "Es führt zu einer Verschärfung des Wettbewerbs zwischen Gewerkschaften." Dies sei einer der Hauptgründe für den aktuellen Streik bei der Deutschen Bahn. Man könne über Mediation nachdenken, dies sollten aber nicht ein Minister oder die Kanzlerin tun. "Es ist dann irgendwann auch mal die Zeit, das Gespräch zu suchen und in Verhandlungen zu gehen, weil – sonst gibt es keine Resultate", sagte Werneke. (APA, dpa, red, 3.9.2021)