Meine erste Begegnung mit den Türmen des World Trade Center geht auf den September 1978 zurück. Ich war damals Pressesprecher von Außenminister Willibald Pahr, wir besuchten die Uno-Generalversammlung. Es war gleichzeitig mein erster Aufenthalt in New York City, oder genauer: Manhattan, mit seinen wie vom Lineal gezogenen Straßenschluchten und dem großen Park im Herzen der Stadt. Es war aufregend, alles schien sich schneller zu bewegen, zumindest auf dem Gehsteig, rasch hatte man die Regel herausgefunden, dass man von einem Block zum anderen (also zum Beispiel von der 65. zur 66. Straße) ziemlich genau eine Minute benötigte. Bis hinunter zum World Trade Center würde man es zu Fuß nicht so leicht schaffen.

Doch eines Abends waren wir dort, zum Abendessen, im Windows on the World, dem Restaurant im letzten Stock. Schon die Lobby des WTC war überwältigend: Sie glich einer Kathedrale, nicht zuletzt auch wegen der nach oben zugespitzten Fenster, so einen hohen Raum hatte ich noch nie gesehen und so viel Platz – nichts stand herum, alles war frei (erst später wurde mir klar, warum – täglich gingen dort zehntausende Menschen ein und aus, die meisten aus der U-Bahn kommend in die Büros über ihnen).

Die 417 und 415 Meter hohen Zwillingstürme des Gebäudekomplexes des World Trade Center an der Südspitze von Manhattan prägten seit 1973 die Skyline der Stadt.
Foto: Eugen Freund

Als wir nach einer rasenden Liftfahrt im 106. Stock ankamen, sahen wir vorerst nichts. Es war dunkel, eine Garderobe verstellte den Blick, auf den man sich schon vorbereitet hatte. Doch nach ein paar Schritten ums Eck leuchte plötzlich in jeder Richtung ein Lichtermeer. Der Süden war noch am wenigsten eindrucksvoll: Dort war das Meer, oder der Zusammenfluss von East und Hudson River, man konnte die Freiheitsstatue erkennen, Governors Island und viele Schiffe. Im Osten ragten die Pfeiler dreier beleuchteter Brücken hervor – der Brooklyn, der Manhattan und der Williamsburg Bridge, auf allen dreien funkelten die Lichter von Fahrzeugen. Queens zog sich meilenweit gegen den Horizont. Im Norden zeigte sich die ganze Pracht von Manhattan: die Avenues, die parallel fast im Unendlichen endeten. Dazu eine breite Straße, die Chaos in die Ordnung brachte mit ihrem schrägen Verlauf: der Broadway. Und dann die vielen monumentalen Hochhäuser. Die meisten waren einen guten Kilometer entfernt, zwischen ihnen und dem World Trade Center erstreckten sich (damals noch) relativ niedrige Wohn- und Bürogebäude. Das Empire State Building war nicht zu übersehen, und das Chrysler Building mit dem Art-déco-artigen spitzen Turm.

Windows on the World

Gegen Westen schließlich war am Horizont noch eine letzte Spur der untergegangenen Sonne zu erkennen, dazwischen wieder das Lichtermeer von Hoboken und Jersey City und ganz vorn, am Hudson River, eine riesige Uhr neben der leuchtend roten Colgate-Lichtreklame. Ich konnte von dem Ausblick nicht genug bekommen. Zum Glück hatte ich meinen Fotoapparat, und so wurde all das Geschilderte auch entsprechend festgehalten.

Die hochrangigen Gäste wurden langsam unruhig, schließlich hatte ich mich immer wieder entfernt, um die atemberaubende Kulisse zu genießen. Doch ich war das kleinste Rädchen in der Gruppe: Neben dem Außenminister waren noch der damalige Uno-Botschafter und spätere Bundespräsident Thomas Klestil und seine Frau dabei sowie Pahrs Kabinettschef Anton Prohaska. Es mag fast eine Ironie des Schicksals sein, aber an meinem einzigen Abendessen im Windows on the World nahm auch Professor Friedrich Hacker teil. Hacker war damals Mitte sechzig und gehörte zu den bekanntesten Aggressionsforschern in den USA. Die Brutalisierung der modernen Welt und Terror. Mythos, Realität, Analyse sind jene Standardwerke, die ihn berühmt gemacht hatten. Niemand von uns konnte damals ahnen, dass der Platz, auf dem wir saßen, fast auf den Tag genau 23 Jahre später nach einem Terroranschlag aus 400 Meter Höhe in die Tiefe krachen würde.

Noch ein weiterer Besuch in diesem Gebäude bleibt mir in Erinnerung. Der Besuch beim Anwalt Ed Fagan, der sich im Jahr 2000 in der Provenienz-Angelegenheit eines Klimt-Bildes, das im Museum of Modern Art ausgestellt war, wichtig machte. Während mein Kamerateam die Videogeräte und die Scheinwerfer im 79. Stock des WTC einrichtete, bemerkte ich ein leicht gekipptes Fenster: Wenn man hinunterblickte, sah man den Platz zwischen den beiden Türmen. Ich hielt meine Kamera durch den offenen Spalt und fotografierte die Aussicht: nicht mehr als kleine Pünktchen waren die Menschen weit unten. Es war, wie sich beim Attentat herausstellen sollte, genau jener Bereich – und jener Anblick –, den die verzweifelten Büroangestellten hatten, die sich aus dem Gebäude stürzten, um dem Inferno zu entgehen. Was muss in ihren Köpfen dabei vorgegangen sein? Hinter ihnen die Feuersbrunst, vor ihnen der Abgrund.

Wenige Jahre vor dem Inferno hatte ich das Glück, gleich zwei Blitzeinschläge in die oberste riesige Antenne festzuhalten. Im Mai 1998 waren wir für ein Shooting für eine Ö3-Kampagne in einem Atelier in Downtown. Plötzlich zog ein schweres Gewitter auf. Durch das Fenster hatten wir einen guten Blick auf beide Türme des World Trade Center – es war für mich nur eine Frage der Zeit, bis ein Blitz auch in die Antenne einschlagen würde. Ich stellte mich vor das Fenster, hielt meinen Zeigefinger am Auslöser und – wartete. Kurz darauf passierte es: Ein Blitz kam fast senkrecht von oben und versenkte seine Millionen Volt in die Stahlnadel, der zweite schien es sich noch ein wenig zu überlegen, machte erst einen Bogen, fühlte sich dann aber doch vom Metall so angezogen, dass er sich ebenfalls in der Spitze entlud.

Da hat Eugen Freund im Jahr 1998 auf den richtigen Moment gewartet und diesen Blitzeinschlag am WTC-Gebäude fotografisch eingefangen.
Foto: Eugen Freund

Ein schwacher "News"-Tag

Am 11. September 2001 war ich zurück in Wien und um 14.30 Uhr im ORF-Zentrum Wien: Die gesamte Redaktionskonferenz trifft sich wie jeden Tag im Sitzungszimmer, um über die Themen für die Zeit im Bild um 19.30 Uhr zu beraten. Es ist ein schwacher "News"-Tag ohne herausragende Themen: Aus Bayern wird ein BSE-Fall gemeldet, Australien muss einige Hundert Bootsflüchtlinge doch aufnehmen, Österreich überlegt, wie es sich für die bevorstehende Verkehrslawine aus den mittel- und osteuropäischen Ländern rüsten kann ... genug also, um eine ZiB zu füllen. Meine Tätigkeit als US-Korrespondent in Washington war gerade vorüber, seit Anfang September musste ich mich wieder an die Routinen der "normalen" Auslandsredaktionstätigkeit gewöhnen.

Im Konferenzzimmer standen damals zwei TV-Geräte, die nicht immer eingeschaltet waren. Um ca. 14.50 Uhr drücke ich auf einen Knopf: Nach ein paar Sekunden, die Röhre muss sich erst aufwärmen, kommt plötzlich eine Nahaufnahme eines brennenden Gebäudes ins Bild. Rauch steigt auf, offenbar schon einige Minuten, denn die markanten Außenwände sind bereits schwarz eingefärbt. Ich rufe in den Raum: "Das ist das World Trade Center in New York, es brennt ..." Als die Kamera die Totale zeigt, ist jeder Zweifel zerstreut: Es ist die Südspitze von Manhattan, und das markante Gebäude steht lichterloh in Flammen. Ich laufe sofort in mein Zimmer, um in Ruhe – so glaubte ich – CNN weiter zu verfolgen. Meine Kollegin Hannelore Veit eilt ins Studio und geht knapp vor 15 Uhr auf Sendung. Ein paar Minuten später holt man mich als Übersetzer für die Livesendung, und ich gehe ohne ein Blatt Papier, ohne sonstige Unterlagen (und ohne Schminke) ins Studio. Die Signation einer "Sonder-ZiB" läuft ab, und wir zeigen die Bilder, die CNN in die ganze Welt ausstrahlt. Hannelore Veit meldet sich mit den Worten "Wir bringen eine kurze Sonderausgabe der ZiB" und berichtet: "Zwei Flieger sind in die Türme des World Trade Center geflogen und haben dort riesige Löcher hineingerissen ..." "Das Attentat, wenn man davon ausgehen kann, dass es ein solches war – und daran kann es nun, nach dem zweiten Anschlag, keinen Zweifel mehr geben –, hat sich vor etwas mehr als einer halben Stunde ereignet", informiere ich die Zusehenden, die sich erst jetzt zugeschaltet haben, "es ist zu hoffen, dass zu diesem Zeitpunkt noch nicht allzu viele Personen in dem Gebäude beschäftigt waren ..."

Um ca. 15.30 Uhr meldet sich Präsident George W. Bush zu Wort. Erst später erfahren wir, dass er in Florida ist, dort Schulkindern aus einem Märchenbuch vorliest. Andrew Card, ein enger Mitarbeiter des Präsidenten, kommt in den Raum, flüstert ihm etwas ins Ohr. Bush bleibt unbewegt. In der kurzen Rede danach spricht er davon, dass man die Terroristen jagen und zur Verantwortung ziehen werde.

Heute befindet sich am Ground Zero auch das National September 11 Memorial and Museum.
Foto: Eugen Freund

Im Laufe des Nachmittags überschlagen sich die Ereignisse, Gerüchte sind von Tatsachen kaum mehr zu trennen: Explosionen vor dem US-Außenministerium in Washington werden gemeldet, ebenso dass das Washington Monument gesprengt worden sei; ein Hubschrauber sei direkt vor dem Pentagon explodiert, danach stellt sich heraus, ein weiteres Flugzeug ist in das amerikanische Verteidigungsministerium gerast. Eine vollbesetzte Maschine ist in ein Waldgebiet in Pennsylvania gestürzt, Kapitol und Weißes Haus sollen nächste Ziel eines Anschlags werden – alle Bundesgebäude werden evakuiert. Und es wird heftig spekuliert, wer hinter den Anschlägen stehen mag. Meine Überlegungen damals: "Wir sollten bei Schuldzuweisungen vorsichtig sein. Auch bei dem Anschlag auf das staatliche Bürogebäude in Oklahoma City im April 1995 wurden erst arabische Terroristen dafür verantwortlich gemacht. Danach stellte sich heraus, dass ein einheimischer Rechtsradikaler diesen grausamen Anschlag mit über 150 Toten ausgeführt hatte ..."

Experten im Studio helfen uns aus, die Lücken zu füllen. Alles läuft irgendwie automatisch ab: In einem Ohr steckt die Audio-Verbindung zu CNN, im anderen Ohr höre ich den Antworten zu, die Augen blicken auf die Bildschirme, die jeweils das aktuelle Geschehen wiedergeben. Zeit zum Nachdenken, zum Atemholen, zum Verarbeiten der Bilder bleibt keine – alles passiert rasend schnell, mehr als ein Vierteljahrhundert Erfahrung mit dem Medium lassen keine Emotionen zu. (Eugen Freund, ALBUM, 5.9.2021)