Plädoyer für das kritische Hinterfragen – und für Offenheit: Fatma Akay-Türker.

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Etwas länger als ein Jahr war Fatma Akay-Türker die einzige Frau im Obersten Rat der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreichs (IGGÖ). Dann reichte es ihr, als Quotenfrau missbraucht zu werden und praktisch keinen Einfluss in der IGGÖ zu haben. Im Juni 2020 trat sie aus Protest in ihrer Funktion als Frauensprecherin zurück (der STANDARD berichtete am 9. Juni 2020).

Nun hat die streitbare Theologin und Historikerin ein Buch über diese Erfahrungen, ihr Leben und ihr Verständnis von islamischer Theologie geschrieben. Die Hauptthese darin lautet, dass der eigentliche, echte Islam – wie etwa zur Zeit des Propheten Mohammed – genauso wie der Koran fortschrittlich und friedfertig sei.

"Nach meiner Auffassung begründet der Koran Gerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit, Frieden und Morallehre sowie alle Grundwerte wie Demokratie, Freiheit und Unabhängigkeit." Diese eigentliche Botschaft sei aber 1400 Jahre lang von einer männerdominierten Theologie verfälscht und in das genaue Gegenteil uminterpretiert worden. Nicht der Koran sei das Problem, sondern das Patriarchat, das immer noch in islamisch geprägten Gesellschaften dominiere.

So beeindruckend Fatma Akay-Türkers Mut ist, gegen einzementierte patriarchalische Strukturen anzukämpfen, ihre Koranexegese scheint dennoch wenig überzeugend. Die Autorin vermeidet zwar den Literalismus, nämlich konkrete Handlungsanweisungen aus einem wörtlich verstandenen Koran abzuleiten. Sie tappt aber in die Voluntarismusfalle im Sinne von: "Im Koran steht genau das, was ich herauslesen möchte." Humanistische Prinzipien aus der europäischen Moderne etwa hinsichtlich der Menschenrechte, der Gendergerechtigkeit oder des demokratischen Rechtsstaats werden in den Koran hineingelesen oder hineininterpretiert, ohne dass es eine ausreichende textliche Grundlage gibt.

Der Wiener Philosoph Kohki Totsuka zeigte am Beispiel von Fazlur Rahman, dass fast alle reformmuslimischen Ansätze eine Anpassung an den liberalen Zeitgeist praktizieren. Das ist offensichtlich auch hier der Fall. Ein Beispiel ist die Sure 4: 34, die es Männern unter bestimmten Umständen erlaubt, ihre Frauen zu schlagen. Die Muslimin und Aktivistin Amina Wadud verzweifelte nach 20 Jahren an der Passage: "there is no getting around this one." Akay-Türker ersetzt das Wort "schlagen" durch "sich eine Weile trennen", und das Problem scheint gelöst.

Kritisches Hinterfragen

Akay-Türkers Buch enthält erfreulicherweise Elemente der Aufklärung – verstanden als kulturübergreifendes Phänomen von Rationalisierungsprozessen. Die Theologin plädiert für ein kritisches Hinterfragen. Sie erlebte ihre akademische Bildung als Befreiung, schätzte die Offenheit und Toleranz an der Hauptuniversität Wien. Genau deshalb sollten Nichtmuslime hoffen, dass Frau Akay-Türker und gleichgesinnte Musliminnen innerhalb und außerhalb Österreichs langfristig erfolgreich sein werden. Sie haben allerdings noch einen sehr langen Weg vor sich. (Georg Cavallar, ALBUM, 4.9.2021)