Ein Hochhaus von Wiener Wohnen steht in Margareten.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Wien – Präziser hätte man kaum planen können. Just an jenem Tag, an dem die Stadt Wien den "Tag des Wiener Wohnbaus" zelebriert, erreicht eine Korruptionsaffäre die nächste Stufe. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat gegen 93 Personen ermittelt, in 53 Fällen gibt es nun eine Anklage. 45 Angeklagte sind Mitarbeiter der städtischen Hausverwaltung Wiener Wohnen, ihnen wird Bestechlichkeit vorgeworfen. Der Rest arbeitet bei Bauunternehmen und ist wegen Bestechung angeklagt.

Konkret geht es um Schmiergeld bei der Vergabe von Handwerkeraufträgen. Wiener-Wohnen-Mitarbeiter sollen bei der Kontrolle beide Augen zugedrückt haben. Sofern die Kontrolle überhaupt stattfand. Inkriminiert ist ein Tatzeitraum von April 2011 bis Jänner 2013. Addiert man auf Basis der Anklageschrift die mutmaßlich geflossenen Beträge, kommt man auf eine Schadenssumme von rund 170.000 Euro.

Wie das "Geschäft" lief

Die "Geschäftsidee" kommt von einem 56-Jährigen, der unter anderem eine Glaserei, eine Malerei, einen Steinmetzbetrieb und mehrere Baufirmen betrieben hat. Seine Leute meldeten bei Wiener Wohnen angebliche Schäden in Gemeindebauten, etwa in Kellerabteilen, Dachböden oder Stiegenhäusern. Dazu ließ er laut Anklage "Häuserlisten" erstellen, für die Behebung der – teilweise nur behaupteten – Schäden wurde dann auf Kosten des Steuerzahlers abkassiert.

Man habe lediglich Scheiben geputzt oder Silikonfugen getauscht und dann behauptet, Fensterschäden seien behoben worden, heißt es mitunter. Laut WKStA wurden manche Werkmeister mit drei Prozent an den Aufträgen beteiligt und mit Tankgutscheinen belohnt. Wiener-Wohnen-Mitarbeiter müssten allfällige Schäden bei Begehungen feststellen, ließen sich der WKStA zufolge diese Aufgabe vom 56-Jährigen entgeltlich abnehmen. Sie wurden für ihr Nichttätigwerden "mit Gutscheinen belohnt", heißt es in der Anklage. Belastet werden die Angeklagten durch Aussagen eines Kronzeugen.

"Uns liegt die Anklageschrift noch nicht vor, wir haben aus der Zeitung davon erfahren", sagt ein Wiener-Wohnen-Sprecher am Freitag zum STANDARD. Man begrüße jedoch die Anklage.

Suspendierte Mitarbeiter

Die Vorwürfe gehen bereits ins Jahr 2012 zurück. "Ein Teil der Mitarbeiter ist bereits aus der Firma ausgeschieden, ein anderer wurde suspendiert", meint der Sprecher. Alle Namen kenne man noch nicht. Über Konsequenzen werde nach rechtskräftiger Erledigung des Verfahrens entschieden. Es gilt die Unschuldsvermutung, die Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe. Wenig überraschend ließen die politischen Wortspenden zu der Causa nicht lange auf sich warten. Wiener FPÖ-Obmann Dominik Nepp forderte den Rücktritt der zuständigen roten Stadträtin Kathrin Gaál. Auch die Wiener ÖVP reagierte empört. Michael Ludwig (SPÖ) sei "selbst politisch verantwortlich für diese vermeintliche Korruption auf dem Rücken der Steuerzahler".

Im Büro der Wohnbaustadträtin zeigt man sich erfreut, dass "ein Gericht die Vorwürfe kläre". Das Thema beschäftigte bereits Gaáls Vorgänger als Wohnbaustadtrat, den jetzigen Bürgermeister Ludwig. Dieser sagte 2017, dass die Ermittlungen keinesfalls eine Folge von Versäumnissen seien. Immerhin habe Wiener Wohnen diese 2012 selbst ins Rollen gebracht, und zwar mit einer Betrugsanzeige gegen den ehemaligen Geschäftsführer der Glaserei- und Malereigesellschaft. Finanzielle Schäden für die Mieter schloss man bei Wiener Wohnen 2017 aus.

Kein Einzelfall

Das aktuelle Ausmaß ist einzigartig, Einzelfall ist es jedoch keiner. Immer wieder tauchen bei der Gemeindebauhausverwaltung, die rund 220.000 Wohnungen betreut, Unregelmäßigkeiten auf. Wie 2015, als eine Mitarbeiterin des Tochterunternehmens Wiener Wohnen Haus- und Außenbetreuung GmbH wegen des Verdachts der Untreue entlassen wurde. Oder 2011, als das Magazin Profil über ein mutmaßliches Installateurkartell berichtete, das seine Angebote bei einer Ausschreibung abgestimmt haben soll. Damals kam es zu keiner Anklage, weil der Auftragswert von 200 Millionen Euro nach Ansicht des Gerichts unter der Bagatellgrenze lag. Oder 2009, als der Geschäftsführer der Wiener Wohnen Hausbetreuung GmbH zurücktreten musste, weil er seinen Schwager mit Aufträgen versorgt hatte. (Andreas Danzer, 3.9.2021)