"Dich f... ich ordentlich durch." Was wie aus einem derben Porno klingt, wird vielen Menschen – meist Frauen – tatsächlich auf der Straße hinterhergerufen. Auf dem Weg zur Arbeit oder vor der Uni: Pfiffe, Kussgeräusche oder sexuelle Erniedrigungen. Catcalling heißt: Frauen werden mit Worten oder anzüglichen Geräuschen sexuell belästigt. Weil der Begriff an das Anlocken einer Katze erinnert, sehen manche darin eine Verharmlosung.

Sarah Kampitsch möchte das nicht mehr hinnehmen. Die 26-Jährige eröffnete im August 2019 den Instagram-Kanal "Catcalls of Graz". Mit ihrem dreiköpfigen Team sammelt sie Catcalls, die sich Followerinnen und Follower anhören mussten und anonym einsenden, und malt diese mit Kreide gut sichtbar auf Grazer Gehsteige. Neu ist die Idee nicht: "Catcallsof" nennt sich die Bewegung, die 2016 mit einer Instagram-Seite aus New York und dem heutigen Dachverband "Chalk back" startete, dem sich seither weltweit mehr und mehr Städte anschließen. Auch in Österreich gibt es mittlerweile einen Ableger in Wien, Salzburg und Innsbruck.

Ernsthafte Drohungen

Die meisten Nachrichten, die "Catcalls of Graz" erreichen, senden Frauen unter 34 Jahren. Auch homophobe und transfeindliche Erfahrungen befinden sich unter den Einsendungen. "Darunter auch heftige Nachrichten wie Vergewaltigungsdrohungen", erzählt Kampitsch. In solchen Fällen würde ihr Team an Organisationen verweisen, bei denen man sich Hilfe holen kann. Die Erfahrungsberichte nutzt das Team für "Kreideaktionen" – bei denen sie diese dorthin schreibt, wo sie tagtäglich gemacht werden: an Bushaltestellen oder vor den Supermarkteingang.

Illustration: Fatih Aydogdu

Was trotz des kreativen Umgangs mit Belästigungserfahrungen bleibt, ist der Wunsch nach Sicherheit und Gerechtigkeit. Daher hat "Catcalls of Graz" eine Petition gestartet: Verbale sexuelle Belästigung soll strafbar werden. In anderen europäischen Ländern wie Belgien, Portugal oder den Niederlanden ist das bereits der Fall. In Österreich erfasst das Strafgesetzbuch sexuelle Belästigung erst, wenn der Täter oder die Täterin handgreiflich wird. Dass sexuelle Belästigung schon lange vor Körperkontakt beginnt, weiß Sabine Wagner-Steinrigl. Die Strafverfolgung von Catcallern könnte aber problematisch sein, sagt die Juristin bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft.

Das Strafrecht ist Ultima Ratio des Staates, nur grobes Unrecht wird bestraft. "Deswegen ist man mit der Rechtsetzung vorsichtig. Außerdem müsste man jedes Catcalling-Verhalten unter einen Paragrafen kriegen", sagt die Gleichbehandlungsanwältin. Für schwierig hält es die Juristin auch, die Täter für eine Anzeige ausfindig zu machen, da Catcaller oft im Vorbeigehen belästigen. Das Strafrecht kann und soll sich aber weiterentwickeln, sagt Wagner-Steinrigl. Das zeigt sich etwa daran, dass Hate Crimes, also vorurteilsbasierte Gewalttaten, kürzlich in das Strafgesetzbuch aufgenommen wurden. Diese werden vor allem auf rassistische und nationalsozialistische Werthaltungen ausgelegt. "Man könnte hier aber auch argumentieren, dass sexuelle Kommentare Frauen oft abwerten", sagt die Juristin.

Sichtbarkeit der Lebensrealität

Um nicht die "Keule des Strafrechts" anzuwenden, hält Wagner-Steinrigl es für möglich, verwaltungsstrafrechtlich gegen Catcalling vorzugehen. Diesen Zugang hat Frankreich. Seit 2018 kann dort verbale sexuelle Belästigung als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. "Alleine die Debatte um die Strafbarkeit von Catcalling macht die Lebensrealität von Frauen sichtbar", sagt die Gleichbehandlungsanwältin. Verbale sexuelle Belästigung findet im öffentlichen Raum statt, und da hätten Frauen immer schon wenig Platz, sagt Wagner-Steinrigl.

Illustration: Fatih Aydogdu

Das zeigt auch eine Pilotstudie des deutschen Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend über Sexismus im Alltag. 46 Prozent der befragten Frauen gaben an, sexistische Übergriffe an öffentlichen Plätzen durch Unbekannte zu erleben. So flüchtig diese Belästigungen auch stattfinden, so verheerend können sie sein. Sie reduzieren Betroffene – in der Regel Frauen – auf ihre Äußerlichkeiten und sexualisieren ihre Körper, sagt Paul Scheibelhofer, Assistenzprofessor für Kritische Geschlechterforschung an der Uni Innsbruck. "Durch Catcalls lernen Frauen schon von klein auf, dass sie zu jeder Tageszeit von Männern zu einem sexualisierten Körper ‚gemacht‘ werden können", sagt Scheibelhofer.

Für Betroffene reichen die Folgen weit über ein temporäres Unwohlsein hinaus. Viele fühlen sich in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und ihres persönlichen Sicherheitsgefühls beraubt. Mit dem Posting "text me when you get home", das Anfang des Jahres viral ging, machte etwa auch die britische Influencerin Lucy Mountain darauf aufmerksam, wie unsicher sich viele Frauen auf dem Nachhauseweg fühlen. Eine Studie von Kommunikationswissenschaftern der Universität Connecticut zeigt zudem, dass die Erfahrung sexueller Belästigung auf offener Straße negative Auswirkungen auf die mentale Gesundheit Betroffener haben kann. Kein Wunder, dass sich viele nach einer Möglichkeit sehnen, sich zumindest rechtlich wehren zu können.

Rote Linien

"Für die strafrechtliche Verfolgung spräche, dass sie ein Signal senden würde, Catcalling als unrechtmäßiges Verhalten in der Gesellschaft zu etablieren", sagt Wagner-Steinrigl. Zu wissen, Frauen haben den Staat im Rücken, könne zum Sicherheitsgefühl beitragen. Dass die Aufnahme von Catcalling ins Strafgesetzbuch einen symbolischen Wert haben und rote Linien verdeutlichen kann, denkt auch Scheibelhofer. "Wichtig wäre zusätzlich ein gesellschaftlicher Diskurs gegen Sexualisierung und Abwertung von Frauen im Alltag, der zuerst auf politischer Ebene geführt werden muss. Auch Kindern und Jugendlichen muss man ein entsprechendes Bekenntnis vermitteln", sagt der Experte.

Während Catcaller Frauen also auf "ihren Platz" verweisen möchten, ist verbale sexuelle Belästigung etwas, das es in der Gesellschaft gar nicht erst geben sollte, ginge es nach "Catcalls of Graz". "Wir wollen Täter nicht angreifen, sondern mit unserer Petition zum Nachdenken anregen", sagt Kampitsch. Vielleicht braucht es nach abendlichen Drinks dann bald nicht mehr die Nachricht an die Freundin, dass man gut heimgekommen sei. (Allegra Mercedes Pirker, 6.9.2021)