Michael Jeannées "Post"-Kolumne in der "Krone".

Foto: Faksimilie Krone

Nicht nur unter den Delegierten des ÖVP-Parteitages hat man intensiv über das Wesen von Sebastian Kurz nachgedacht, ehe man ihm die Stimme gab. Auch in der Redaktion der "Kronen-Zeitung" ist es zwei Tage danach zu einer tiefschürfenden Auseinandersetzung gekommen. Ihren Ausgang nahm sie von der angsteinflößenden Äußerung des Kanzlers vor den Delegierten: "Ich habe mich schon einige Tage gefragt, ob ich da überhaupt richtig bin, ob es das ist, was man im eigenen Leben möchte, wie lange ich das noch aushalte und ob ich das meiner Familie antun kann."

Von dieser Lesefrucht aus der Gratiszeitung "Heute" beunruhigt, setzte Michael Jeannée sie einem Kollegen vor, um herauszufinden, wie ernst es der Kanzler mit seiner Frage an sich selbst gemeint haben könnte. Leider vermochte dessen Antwort Jeannées Ängste nur teilweise zu stillen. "Klingt, quack, quack, nach ausgewachsener, klassischer Ente ...", kommentiert mein redaktioneller Lieblingszyniker Michael Pommer, als ich ihn nach seiner diesbezüglichen Meinung frage. "Ich meine, der Kanzler hat gezielt geflunkert. Denn natürlich hat er nicht im Entferntesten an Rücktritt gedacht, an das Aufgeben seiner Macht."

"Denn vielleicht hat der Kanzler ja tatsächlich mit dem Gedanken des Hinhauens gespielt."

Jeannée stieß sich nicht daran, dass sein redaktioneller Lieblingszyniker die Kanzlerrede als quack, quack abtat, sondern an der Ungewissheit, in der ihn, den heißen Fan des Kanzlers, der Kollege zurückließ. Wahrscheinlich hat Pommer recht. Aber nur wahrscheinlich, ließ sich Jeannée ein wohlbegründetes Hintertürchen der Hoffnung offen. Denn vielleicht hat der Kanzler ja tatsächlich mit dem Gedanken des Hinhauens gespielt.

Das vorliegende Problem besteht darin: Hat der Kanzler tatsächlich mit dem Gedanken des Hinhauens gespielt, war also schon nahe daran, ihn in die Tat umzusetzen. Oder ist ihm der Gedanke einfach nur einmal bei Gelegenheit gekommen, so wie man auf den Gedanken kommt, es leuchte ein Licht am Ende des Tunnels. Was Jeannée nicht schlafen lässt – dass der Kanzler wirklich gute Gründe hätte, mit dem Gedanken des Hinhauens zu spielen. Etwa: Damit er wieder gut schlafen kann. Um seiner schwangeren Freundin die täglichen Aufregungen zu ersparen. Auf dass er wieder ein "normales Leben" führen kann.

Ein "Lapperl"

Was den "Krone"-Kolumnisten schließlich davon überzeugte, dass es sich dabei nur um quack, quack handeln kann, das waren wiederum die Delegierten. Denn schlussendlich haben ihn 99,4 Prozent Zustimmung vom Aufgeben abgehalten. Und das ist gut so. Und warum das? Denn die gegenwärtige Corona-Krise wäre ein "Lapperl" gegen das politische Retirieren von Kurz.

Ob der redaktionelle Lieblingszyniker zu dieser Einschätzung mehr gesagt hätte als quack, quack, blieb offen. Warum sollte jemand, der sich mit erheblichem Aufwand an innerparteilichen Intrigen dorthin gebracht hat, wo er heute ist, nun plötzlich und ohne triftigen Grund mit dem Gedanken des Hinhauens spielen? Sicher hingegen ist, dass das politische Retirieren von Kurz keinesfalls in eine Pandemie ausarten würde, sondern in wenigen Tagen erledigt, also im Vergleich zur gegenwärtigen Corona-Krise ein "Lapperl" wäre.

Das Wohlergehen der Kanzlerpartei muss Vorrang haben

Statt mit dem Gedanken des Hinhauens zu spielen, ist Jeannées Lieblingskanzler dabei, in der gegenwärtigen Corona-Krise nach Anschober den zweiten Gesundheitsminister zu verheizen. Alle Experten drängen auf rasche und entschiedene Maßnahmen, Mückstein darf sie aber bestenfalls in Aussicht stellen, weil Kurz angesichts der oberösterreichischen Landtagswahlen vor Kickl auf die Knie geht. Er will keine Stimmen von Impfgegnern an die FPÖ verlieren. Das Wohlergehen der Kanzlerpartei muss Vorrang vor der Volksgesundheit haben.

Dabei gäbe es einen Ausweg aus dem Dilemma, die Fellners haben ihn. Wir brauchen einen Impf-Hunderter.Die Regierung scheint mit ihrem Latein bezüglich der Impfung am Ende angekommen zu sein. In Wahrheit gibt es nur eine Möglichkeit, um die eingeschlafene Impfkampagne wieder in Schwung zu bringen: Cash für jeden, der sich impfen lässt. Zahlen wir doch bitte jedem, der sich impfen lässt, 100 Euro. Einmal war in "Österreich" auch schon von einem Impf-Tausender die Rede.

Warum nicht gleich groß an die FPÖ spenden, damit Kickl aufhört, sich öffentlich als Kurpfuscher in Pandemieangelegenheiten zu profilieren? Bei dieser Partei weiß man aus dem Mund ihres verflossenen Vorsitzenden wenigstens, dass sich dort niemals jemand persönlich bereichern würde. (Günter Traxler, 5.9.2021)