Meist rauscht Angela Merkel eingeschlossen in ihren Tross an den Journalisten vorbei.

Foto: imago images/Sven Simon

Es gibt Wünsche, die sich nie erfüllen werden. Ein Flug zum Mond im Jahr 2022 beispielsweise. Oder eine Bahnfahrt in Deutschland mit ununterbrochenem WLAN. Oder ein großes Abschiedsinterview mit Angela Merkel.

Natürlich, einem deutschen Medium wird sie schon eines geben. Man hört, dass Verhandlungen im Gange sind. Die große Masse der Berliner Journalistinnen und Journalisten – inländische und ausländische erst recht – wird aber wieder einmal leer ausgehen.

Schon klar, würde Merkel alle Interview-Anfragen berücksichtigen, käme sie überhaupt nicht mehr zum Regieren. Aber schön wäre es schon gewesen.

Im Laufe von 16 Jahren als Berlin-Korrespondentin wird man bescheiden. Interview, das ist ein großes Wort. Ein paar Fragen vielleicht an die Kanzlerin? Eine Frage nur? Nichts zu machen. Merkel gibt nicht einfach mal so Auskunft. Das macht sie nur im Rahmen von Pressekonferenzen. Da sitzt man dann wenige Meter von ihr entfernt, wer Glück hat, darf eine Frage stellen. Meistens wollen das an die 150 Leute. Ansonsten rauscht sie eingeschlossen in ihren Tross an den Journalisten vorbei, signalisiert: Lass es bleiben, frag nichts.

Nur einmal gelang es mir, Merkel so nahe zu kommen wie sonst nur ganz wichtige Leute. Es war im Mai 2011, ich war damals Vorsitzende des Vereins der ausländischen Presse in Deutschland (VAP). Diese 1906 vom Österreicher Paul Goldmann gegründete Journalistenvereinigung ist die älteste in Deutschland. Ihr Ziel: ausländischen Korrespondenten die Arbeit zu erleichtern.

Gespräch mit Auslandspresse

Einmal im Jahr hat sie den deutschen Regierungschef beziehungsweise die deutsche Regierungschefin zu Gast. Das Gespräch moderiert dann der oder die VAP-Vorsitzende.

Angela Merkel und Birgit Baumann würden also gut eine Stunde parlieren. Kanzlerin und Korrespondentin. Das klingt toll, löste aber auch leichte Nervosität aus. Was, wenn man Namen von Ministern vergisst oder sie verwechselt? Oder sich sonst wie blamiert? Grauenhafte Vorstellung!

Sicherheitscheck im Kanzleramt, wie immer, Begrüßung der vielen, vielen Kollegen und Kolleginnen. Alle sollten schon auf ihrem Platz sein, wenn die Kanzlerin erscheint.

Da sind wir wohl durcheinander

Sie kam schnellen Schrittes in den Saal, ein kurzer Händedruck, ein freundliches Lächeln, los geht’s. Menschen wie Merkel haben immer zu wenig Zeit für zu vieles.

Ein paar Sekunden musste ich ihr auch noch stehlen, um "meinen" Journalisten die Modalitäten zu erklären: Alles darf zitiert werden, wir sprechen zuerst 30 Minuten über den Themenbereich "Inland/EU", dann folgen 30 Minuten für Fragen zu "Auslandspolitik".

Mit der Disziplin klappte es nicht lange. Die Fragen kamen wild durcheinander, jeder Aufgerufene wollte die rare Chance nutzen und sein Thema unbedingt ansprechen. Ich fühlte mich zwischenzeitlich wie eine hilflose Dompteuse. Merkel aber nahm es gelassen und sagte bloß: "Jetzt ist unsere sorgfältig gewählte Aufteilung zwischen nationalen und internationalen Themen ein bisschen durcheinandergeraten."

Wir blickten uns kurz tief in die Augen. Ihr Blick erschien mir mitfühlend, aber auch verständnisvoll. Kein Wunder, sie musste ja in der CDU stets die Gremiensitzungen und im Kabinett die Mittwochsrunden leiten. Da ging es sicher noch turbulenter zu.

Außerdem hatte sie einen petrolfarbenen Blazer an, ich trug zufällig ein Oberteil in der gleichen Farbe. So was verbindet – vielleicht.

Hilfsprogramme für die Griechen, Atomkraft, der Koalitionspartner FDP, das Verhältnis zur Türkei, wir arbeiteten alles ab.

Zum Schluss bedankte ich mich und lud die Kanzlerin zu unserem Jahresempfang im November ein. Ihre Antwort: "Die Einladung habe ich schon gesehen." (Das machte Hoffnung.) Doch sie wisse noch nicht, ob es zu einem Treffen kommen werde. (Eh klar.) Sie ist dann leider nicht gekommen. (Birgit Baumann, 10.9.2021)