Dieser Abend ist auch wegen seiner fantastischen Darsteller schmerzlich.

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Ein tristeres Gelb hat man kaum je gesehen. Die in einem chancenlos freundlichen Farbton gestrichenen Wände bilden die Kulisse für zwei billige Tische, ebensolche Plastiksessel, eine Küchenzeile. Die Mühe, die Stromleitungen in der wasserfleckigen Wand zu verlegen, hat man sich nicht gemacht. So nüchtern und präzise wie die Bühne im Jugendstiltheater am Steinhof ist auch der Plot von Alexander Zeldins Stück Love bei den Festwochen.

Einziges Hoch hier ist Hochbetrieb auf dem Klo. Eine ältere Dame frequentiert es in größter Not öfter, als allen Bewohnern der Notunterkunft lieb ist. Unter ihnen ein Arbeitsloser mit zwei Kindern und einer schwangeren Frau, die nach einer Mieterhöhung delogiert wurden, ein syrischer Flüchtling, eine mit Kopftuch.

Kein Notausgang aus dem Versagen

Grundlage des Abends waren Begegnungen Zeldins (im Frühsommer zeigte er schon Faith, Hope and Charity) mit britischen Familien, die in Notunterkünften leben. Immer wieder hat er sie besucht und über zwei Jahre in die Proben eingebunden. Ergebnis ist ein sensationeller Abend – ganz ohne Sensationen. Zeldin verdichtet schlicht die traurigen Details eines äußerst prekären Alltags. Schuld ist ein versagendes Sozialsystem, die Bürokratie, der Wohnraumkapitalismus. Die Notausgang-Schilder im Raum haben keine umfassendere Entsprechung: Eigentlich dürfte niemand länger als sechs Wochen so leben, manche feiern jedoch schon das zweite Weihnachten hier. Die Zimmer der Bewohner, in die man durch geöffnete Türen lugt, sind gerammelt voll.

Zum Abendessen drückt der Vater der Familie winzige Portionen aus der Mikrowelle auf den Teller. Hunger ist ein Dauerzustand und Aggression eine Folge ökonomischer und sozialer Überlastung. Die Lage schaukelt sich hoch, doch auch zärtliche Momente flackern auf: Der distanzlose Nachbar wäscht seiner inkontinenten Mutter mit Geschirrspülmittel die Haare, die einsame Dame beginnt unter dem Wasser zu kichern wie ein Mädchen. Dieser genau gearbeitete Realismus ist 90 Minuten lang schmerzlich, auch wegen der fantastischen Darsteller. (Michael Wurmitzer, 3.9.2021)