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Alcide De Gasperi und Karl Gruber (v. li.) bei einer Begegnung 1948. Zwei Jahre zuvor hatten sie hart – und schließlich erfolgreich – über die Zukunft Südtirols verhandelt, und zwar auf Deutsch.

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Karl Grubers Auftrag ist eine "mission impossible": Der erst 37-jährige Außenminister der aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs erstandenen Republik soll bei der Pariser Friedenskonferenz 1946 nichts weniger erreichen als eine Angliederung Südtirols an Österreich. Das Gebiet war nach dem Ersten Weltkrieg Italien zugeschlagen worden – und auch jetzt ist Österreich kaum in der Position, Bedingungen stellen zu können.

Doch auch für Alcide De Gasperi (65) ist die Ausgangslage heikel: Auf dem italienischen Ministerpräsidenten lastet nicht nur der der Druck aus der Heimat, ja nicht zu viele Zugeständnisse zu machen, sondern auch jener der Briten: Österreich darf nicht in die Arme der Sowjets getrieben werden.

Entsprechend dürftig ist dann auch das "Pariser Abkommen", das am 5. September 1946 unterzeichnet wird: Auf gerade einmal zwei Seiten verpflichtet sich Italien, "den deutschsprachigen Einwohnern der Provinz Bozen die volle Gleichberechtigung mit den italienischsprachigen zu gewähren".

Ohrfeige auf offener Straße

Gruber wird in der Folge beschimpft, der Obmann des Tiroler Kriegsopferverbandes ohrfeigt ihn auf der Innsbrucker Maria-Theresien-Straße. Der Außenminister wird so zum "Watschen-Gruber".

Kritik muss auch De Gasperi einstecken. Er – der in Wien studiert hatte und bereits Abgeordneter im österreichischen Reichstag sowie im Tiroler Landtag gewesen war und mit Gruber auf Deutsch verhandelt hatte – muss sich in Rom Vorwürfe gefallen lassen, zu weit gegangen zu sein, als er Österreich eine "Schutzfunktion" für die deutschsprachige Mehrheit in der nördlichsten Provinz Italiens einräumte.

Doch De Gasperis Taktik erwies sich aus italienischer Sicht als genialer Schachzug: Mit der Vereinigung der mehrheitlich deutschsprachigen Provinz Bozen mit der italienischsprachigen Provinz Trient wurde die mehrheitlich italienischsprachige Verwaltungsregion Trentino-Südtirol geschaffen. Querschüsse der Deutschsprachigen sollten für Rom fortan keine allzu großen tagespolitischen, geschweige denn gesetzgeberischen Probleme bedeuten.

Dass dies den Südtirolern nicht schmeckte, verwundert kaum. Es bildete sich Widerstand in diesen frühen Jahren der Südtiroler auf der Suche nach mehr Eigenständigkeit. Ein erster Höhepunkt war die Großkundgebung auf Schloss Sigmundskron 1957, bei der Silvius Magnago, Obmann der Südtiroler Volkspartei (SVP), die berühmt gewordene Parole "Los von Trient" ausgab.

Doch es blieb nicht nur bei scharfer Rhetorik: Die Spannungen entluden sich 1961 in einer Bombenserie, auf die Rom mit der Entsendung von Militär, mit Verhaftungen und sogar mit Folter reagierte. Die traurige Bilanz: 21 Tote bei 350 Anschlägen.

So richtig frostig wurden dann die Beziehungen zwischen Rom und der Schutzmacht Wien mit der Einführung eines Visumzwangs für Österreicher. Der Pariser Vertrag, auch Gruber-De-Gasperi-Abkommen genannt, war damals kaum noch mehr Wert als die beiden Blätter Papier.

Endlich ein Erfolgsprojekt

Erst 1964 fädelten die Außenminister Bruno Kreisky und Giuseppe Saragat neue Verhandlungen ein, die 1969 im "Südtirol-Paket" mündeten, das von der Lokalmacht SVP in einer Kampfabstimmung mit knapper Mehrheit angenommen wurde.

Südtirol, die ärmliche Bauernregion, der politische Spielball, wurde innerhalb nur weniger Jahrzehnte zu Italiens Herzeige- und Wohlstandsprovinz. Und die Großwetterlage zwischen Wien und Rom ist seitdem ebenfalls konstant sonnig.

Die letzten Jahre standen im Zeichen der "dynamischen Autonomie" und einer schrittweisen Ausdehnung der Zuständigkeiten, vor allem in sekundären Bereichen.

Auch international macht Südtirol mit seiner Autonomie von sich reden: So wirbt etwa der Dalai Lama für ein nach Südtiroler Vorbild autonomes Tibet – freilich bisher ohne Erfolg. Aber damit rechnete auch 1946 für Südtirol niemand.

Feiern zum 75er

Sonntagabend, zum 75. Jahrestag des Abkommens, wird in Bozen mit Multimedia-Ausstellung und Politikeraufmarsch gefeiert, u. a. mit Ex-Premier Romano Prodi und Alt-Landeshauptmann Luis Durnwalder. Aus Österreich haben sich u. a. Bundespräsident a. D. Heinz Fischer und der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter angesagt.

Mission also erfolgreich beendet? Noch lange nicht. So manchem ist ein autonomes Südtirol zu wenig, so mancher propagiert eine Doppelstaatsbürgerschaft. Aber richtig zurück ins Jahr 1946 – das will wohl niemand mehr. (Gianluca Wallisch, 5.9.2021)