Man hängt an Little Simz’ Lippen, sobald die zierliche Rapperin den Mund aufmacht. Besonders live ein Genuss.

Foto: Nwaka Okparaeke

Es gibt Konzerte, die man nicht vergisst. So bestieg 2016 eine zierliche Frau Anfang 20 die kleine Bühne im Flex Café, und was dann passierte, grenzte an Magie. Little Simz, nur in Begleitung eines DJs, hatte die hundert Leute, die an einem kalten Wintertag an den Donaukanal gepilgert waren, fest im Griff, nachdem sie den Mund aufmachte. Es dauerte nicht lang, bis Daunenjacken durch die Gegend flogen, die kleine Masse sich tanzend und jubelnd, ganz ohne Ellenbogeneinsatz, nach vorn drängte. Das Café wurde zur Sauna, das Publikum eine eingeschworene Gemeinschaft. Little Simz gab alles für die kleine Crowd.

Simbiatu "Simbi" Ajikawo, wie die 27-jährige Rapperin, Produzentin und Schauspielerin – sie spielt eine Hauptrolle in der Netflix-Serie Top Boy – aus Nordlondon heißt, ist live eine Macht. Es ist einer der vielen Gründe, warum sie heute als eine der Besten ihres Fachs gehandelt wird. Ihre größer werdende Bekanntheit kommt nicht von gefinkelten Marketingstrategien, Tiktok oder Instagram, sie hat sie sich klassisch und ganz organisch erspielt. Allein das macht sie zu einer Ausnahmeerscheinung.

Little Simz

Und weil Simz so gut ist, ging es schnell. 2017 eröffnete sie für die Gorillaz auf deren Welttournee, 2019 erschien ihr famoses drittes und für den renommierten Mercury Prize nominiertes Album Grey Area, mit dem sie in einem ausverkauften Wuk gastierte und die Magie – dieses Mal mit Band ganz in Weiß – wieder nach Wien brachte.

Ein Talent, das zweifelt

Mit Sometimes I Might Be Introvert – die Anfangsbuchstaben ergeben ihren Spitznamen "Simbi" – legt Ajikawo nun ihr bisher bestes Album vor, eines das sich zwar ganz und gar um sie selbst dreht, aber trotzdem viel Identifikationspotenzial, besonders für junge schwarze Frauen, zulässt. Das meint sie auch so, berichtet sie in Interviews.

Was aber kann die kleine Simz? Ganz in der Tradition von Rap als Ausdrucksform von Minderheiten, die sich danach sehnen, es aus misslichen Verhältnissen rauszuschaffen, schöpft Simz aus ihrer eigenen Biografie als Tochter nigerianischer Einwanderer mit einem abwesenden Vater und schwierigen familiären Verhältnissen. Sie reflektiert, was es bedeutet, eine schwarze Frau in der Gesellschaft zu sein, eine eigentlich introvertierte Persönlichkeit, ein großes Talent, das doch an sich zweifelt. Das könnte schablonenhaft daherkommen, tut es aber nicht.

Little Simz

So sind Simz’ Verse nicht nur voller lyrischer Feinheiten und Kontraste ("One day I’m wordless, next day I’m a wordsmith"), sie serviert sie auch mit einer mühelos wirkenden Coolness, so schnell wie geschmeidig. Da hat jemand etwas zu sagen und weiß ganz genau, wie. Dass die Botschaften so punktgenau bei den Hörenden landen, liegt auch daran, dass Simz nicht über irgendeinem Beat rappt, sondern Instrumentierung und Texte eine echte Einheit bilden.

Drama, Baby, Drama

Produziert hat wie bei Grey Area wieder Dean Wynton Josiah Cover alias Inflo, der auch hinter den Alben des enigmatischen britischen Musikkollektivs Sault steht. Auch für den Mercury-Prize-gekrönten Soulmusiker Michael Kiwanuka und viele weitere Kritikerlieblinge legte er Hand an. Er ist der Mann für den aktuellen britischen "Sound of Blackness", wenn man so will. Auch für Simz hat sich Inflo ordentlich ins Zeug gelegt: So verneigt er sich gleich auf dem Opener vor Ennio Morricone, Marschtrommeln, Pauken und Trompeten eröffnen ihr stark orchestrales Album. Immer wieder kommen dramatische Streicher, sanfte Harfen und Chöre zum Einsatz. Gleich auf der zweiten Nummer, Woman, mit Cleo Sol (die ist auch bei Sault) wird’s dann hübsch neosoulig, raffinierte Grime-Beats kann er aber, wie der Track Rollin Stone zeigt, auch.

Little Simz

Eine große Leistung, dass das 19 Tracks starke Werk, das wir am Ende des Jahres in den relevanten Bestenlisten aufblitzen sehen werden, trotzdem immer konzise wirkt, nie ausfranst und die vielen zitierten Genres sich der großen Klangvision von Simz und Inflo unterordnen. Was soll man sagen, hier stimmt halt einfach alles. Die beste Nachricht: Live wird’s noch besser sein. (Amira Ben Saoud, 4.9.2021)