Bevor Markus Söder einen Giftpfeil abschießt, macht er in seinen Reden meist eine kleine Pause und grinst leicht süffisant. Kenner ahnen also schon, dass da gleich etwas kommt, als der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef diese Woche Sebastian Kurz gratuliert.

Dem österreichischen Bundeskanzler wurde in Berlin auf dem Wirtschaftstag des CDU-Wirtschaftsrates die Ludwig-Erhard-Gedenkmünze verliehen. Als Söder seine Glückwünsche ausspricht, kann er sich – Pause, Grinser – einen Seitenhieb auf Kurz nicht verkneifen: "Der hat’s auch nicht so leicht in Österreich gerade."

Sebastian Kurz wurde auf dem Wirtschaftstag des CDU-Wirtschaftsrats die Ludwig-Erhard-Gedenkmünze verliehen. Einen Seitenhieb gab es auch.
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In dem Satz schwingt Häme mit. Jeder im Saal weiß, dass Söder es zurzeit ziemlich schwerhat. Kanzlerkandidat ist er nicht geworden, jetzt muss er, wie die anderen in der Union, befürchten, dass CDU und CSU mit Armin Laschet einer Katastrophe am Wahltag entgegengehen.

Wer ist der Beste, wer hat den größten Wahlerfolg, wem jubeln die meisten Menschen zu? Das sind in der männerdominierten CSU Kategorien, die zählen. Da lag Sebastian Kurz einmal sehr weit vorn, was ihm in Deutschland viel Bewunderung eingebracht hat. Bei den Nationalratswahlen 2017 und 2019 konnte er noch drauflegen, während die Union bei der Bundestagswahl massiv verlor.

"Warum haben wir nicht so einen?", fragte die Bild-Zeitung im Oktober 2017 und lobte Kurz: "Völlig angstfrei äußert er Kritik." Etwa wenn er Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingsfrage "moralische Überlegenheit" bescheinige.

Vom Paulus zum Saulus

Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn postete damals ein Selfie von sich und Kurz auf Twitter und Facebook und erklärte, die Wahl sei auch "gut für Europa". Endlich gab es einen Verbündeten gegen Angela Merkels Asylpolitik, die Spahn heftig kritisierte. Der slicke österreichische Kanzler galt als neues Idol der deutschen Konservativen: CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, Unions-Fraktionsvize Carsten Linnemann, Friedrich Merz und der ehemalige Thüringer CDU-Chef Mike Mohring sparten nicht mit Lobeshymnen. Auch vom einstigen CDU-Jungstar Philipp Amthor aus Mecklenburg-Vorpommern war kein Widerspruch zu hören, wenn er als "Sebastian Kurz des Nordens" tituliert wurde.

Viele wollten so sein wie Kurz, so eloquent, so erfolgreich, so internetaffin. Jene, die ihn priesen, waren vor allem Kritiker von Merkels Kurs. Auch heute noch ist Kurz ein gerngesehener Gast bei der CDU in Berlin. Doch seit Kurz angekündigt hat, auch im Falle einer Anklage der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft nicht zurückzutreten, vernimmt man hinter vorgehaltener Hand mittlerweile auch ein gewisses Raunen. "Wir beobachten diese Ermittlungen sehr genau", heißt es in einem schwarzen Ministerium. "So etwas wäre hier in Deutschland undenkbar", sagt man. Dort gebe es nämlich eine vergleichsweise sauberere "Rücktrittskultur".

Vertrauen in den Rechtsstaat

Ähnlich sieht man es in der CSU. Die hatte in der Vergangenheit auch mit so mancher Amigo-Affäre zu kämpfen – an die möchte man sich aber heute freilich ungern erinnern. Fragt man dort nach Kurz, gibt es zuerst das übliche Lob. Aber off the record sagt ein Bundestagsabgeordneter, dass es dann schon schwieriger werden könnte mit der guten freundschaftlichen Verbundenheit. Denn: "Man hat ja in Österreich wie auch in Deutschland Vertrauen in den Rechtsstaat." Das aber werde mit Kurz’ Haltung untergraben.

Weniger Zurückhaltung erlegen sich Medien auf. "Der Sündenfall des Heiligen Sebastian – wie lang kann sich Österreichs Skandalkanzler halten?", fragte der Stern. "Das ist ein Hammer", schrieb die Süddeutsche Zeitung zu den Ermittlungen.

Herzlosigkeit

Doch nicht nur die Untersuchungen der WKStA hinterließen Kratzer am einst so strahlend türkisen Lack. Bei der CSU, die Kurz immer sehr herzlich willkommen geheißen hatte, lodert das Feuer der Zuneigung auch aus anderen Gründen nicht mehr so stark.

Zwar lassen sich die bayerischen Schwarzen gern als Verteidiger von Recht und Ordnung feiern, aber sie wollen auch nicht herzlos erscheinen. Man führt schließlich das C für christlich im Namen.

Als Kurz im Herbst 2020 keine Flüchtlinge aus dem griechischen Lager Moria aufnehmen wollte, zeigten sich der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Söder "enttäuscht". Österreich setze nicht einmal ein "symbolisches Signal", kritisierte der bayerische Ministerpräsident. Selbst in der Bild-Zeitung, von der Kurz gern zum Interview gebeten wird, forderte Vizechefredakteur und Kurz-Biograf Paul Ronzheimer: "Werden Sie nicht zum Herzlos-Kanzler, Herr Kurz!"

Lob für Kurz aus der AfD

Viele haben jetzt, beim Blick nach Afghanistan, ein Déjà-vu. Wieder gibt sich Kurz hart, möchte niemanden aufnehmen. Auch in der Union wolle keiner, nicht einmal Angela Merkel, eine Wiederholung der Situation von 2015, sagt einer aus der CDU. Aber es gebe ja ohnehin Unterschiede zu damals, man könnte ein bisschen Menschlichkeit zeigen.

Stattdessen bekam Kurz Applaus aus einer anderen Ecke: aus der rechten AfD. Mal lobt Fraktionschefin Alice Weidel Kurz' Zurückhaltung bei der Finanzierung der EU-Corona-Hilfen: "Als Deutsche müssen wir Sebastian Kurz und den Regierungschefs der nördlichen Staaten geradezu dankbar sein." Ein andermal fordert Parteichef Tino Chrupalla, Deutschland müsse bei der Ablehnung afghanischer Flüchtlinge "dem Beispiel Österreichs folgen". Eine warme Umarmung durch die AfD – da graut es vielen in der Union.

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Sebastian Kurz bekommt Applaus aus der rechten Ecke, etwa von Alice Weidel und Tino Chrupalla.
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Zorn über Ischgl

Und schließlich hingen die Auswirkungen der Corona-Infektionen in Ischgl lange wie eine dunkle Wolke am österreichisch-bayerischen Firmament. "Halb Europa ist von Ischgl aus mitinfiziert worden", zürnte Söder und ließ keine Gelegenheit aus, um den Tiroler Skiort zum Synonym des Bösen zu machen. Wir wollen kein zweites Ischgl – so sein Mantra.

Als Kurz im Mai zu Besuch in München war, ließ Söder wissen, dass während der Pandemie nicht jedes Telefonat mit Kurz "ein Honeymoon-Telefonat" gewesen sei.

Als der Gast aus Österreich gefragt wurde, ob nicht der bayerische Ministerpräsident der bessere Kanzlerkandidat für die deutsche Bundestagswahl wäre, antwortete Kurz ausweichend und sprach von einer Entscheidung, die in Deutschland getroffen werden müsse. Söder meinte darauf, das Statement hätte schon ein "bisschen euphorischer" sein können. "Aber passt schon." Es ist also nicht mehr alles eitel Sonnenschein zwischen Kurz und den Parteifreunden in Deutschland.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz: Die wechselseitige Begeisterung hat nachgelassen.
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Eines aber hält man dem österreichischen Kanzler weiterhin zugute: dass er vorgezeigt hat, wie man die Grünen "domestiziert". Denn in Unionskreisen fürchtete man lange, dass in einer möglichen schwarz-grünen deutschen Regierung die Ökopartei hohe Ansprüche stellen könnte. Diese Sorge verflüchtigte sich, als die zunächst hohen Umfragewerte der Grünen sanken. Sie kam aber wieder, als auch die Union immer mehr schwächelte. Da schaut man in CDU und CSU gern nach Österreich auf die handzahmen Grünen.

Grüne Sorgenfalten

Auch die deutschen Grünen blicken auf die österreichische Ökopartei, allerdings mit Sorgenfalten auf der Stirn. Viele von ihnen ertragen nur schwer, dass die grünen Parteifreunde in Wien Kurz' Kurs in der Asylpolitik mittragen. Schon als in Wien der Koalitionsvertrag unterschrieben wurde, versprach die Kanzlerkandidatin der deutschen Grünen, Annalena Baerbock: "So etwas wird es in Deutschland nicht geben." Sie meinte damit jene Klausel, die es Kurz erlaubt, sich im Falle von Streit andere Mehrheiten zu suchen.

In einem STANDARD-Interview blieb Baerbock auf die Frage, ob die österreichischen Grünen ein Vorbild für die deutschen Grünen seien, zurückhaltend: "Man kann die Situation nicht vergleichen. In Deutschland würden wir aus einer ganz anderen Position heraus in eine Regierung eintreten." (Birgit Baumann aus Berlin, 6.9.2021)