Gemeinderat Mesut Onay, gebürtiger Innsbrucker, geriet ins Visier des türkischen Regimes.

Foto: Alternative Liste

Innsbruck – Weil er im Jahr 2015 auf seiner Facebook-Seite UrbanStreetMotion Fotos aus dem syrisch-türkischen Grenzgebiet gepostet hatte, geriet der Innsbrucker Gemeinderat Mesut Onay (Alternative Liste) ins Visier der türkischen Staatsanwaltschaft. Onay, gebürtiger Tiroler mit österreichischem Pass, war damals auf Einladung einer türkischen Friedensplattform zusammen mit niederländischen und deutschen Politikern in die Türkei gereist. Onay nahm als Vertreter des Friedensforum Innsbruck an der Reise teil.

Ziel der Delegation war die Beobachtung der Menschenrechtssituation im Krisengebiet der Osttürkei. Onay machte auf dieser Reise Fotos, die er auf seiner privaten Facebook-Seite veröffentlichte. Und genau diese Bilder, die ramponierte Häuser und verschiedene Straßenszenen zeigen, legt ihm die Türkei nun offenbar als "Mitgliedschaft einer Terrororganisation" und "Propagandatätigkeit für eine Terrororganisation" aus. Zudem habe er "die Ehre des türkischen Präsidenten verletzt" und Militär sowie Polizei "öffentlich unterschätzt" – gemeint ist wohl herabgewürdigt.

Erst Ende August über Vorwürfe informiert

Die Staatsanwaltschaft Innsbruck hat Onay Ende August darüber informiert, dass Österreich dem Ersuchen der Türkei um Rechtshilfe nicht nachkommen werde. Allerdings langte dieses türkische Ansuchen bereits am 21. Mai dieses Jahres im Justizministerium ein. Warum Monate vergangen sind, bis man Onay darüber in Kenntnis gesetzt hat, ist derzeit unklar. "Wäre ich in der Zwischenzeit in die Türkei gereist, immerhin ist Urlaubssaison, hätte das sehr schlimm für mich enden können", zeigt sich der Tiroler angesichts der verstrichenen Zeit, bis man ihn über die Vorwürfe gegen ihn informierte, erstaunt.

Auch Clemens Lahner, Rechtsanwalt in Wien, der regelmäßig als Prozessbeobachter in die Türkei reist und den in Ankara angeklagten österreichischen Journalisten Max Zirngast vertrat, sieht das kritisch: "Natürlich haben die Staatsanwaltschaften viel Arbeit und können nicht jeden Akt am selben Tag erledigen. Aber nachdem dieser Fall einer wie viele andere ist und eine Auslieferung ohnehin nicht infrage kommt und nachdem schon eine ganze Reihe von Österreicherinnen und Österreichern wegen solch haarsträubender Vorwürfe in der Türkei verhaftet wurde, würde man sich wünschen, dass hier die Alarmglocken klingeln und die Behörden unsere betroffenen Landsleute schützen, indem diese rasch gewarnt werden. Ansonsten muss sich nach einer Verhaftung wieder das Außenministerium bemühen, diese Menschen wieder heil nach Hause zu bringen."

Bewusste Einschüchterungstaktik

Das Vorgehen des türkischen Staates hat nach Lahners Einschätzung System und diene wohl dazu, Kritiker einzuschüchtern: "Die Türkei verfolgt regelmäßig Personen und klagt sie wegen der Teilnahme an Demonstrationen oder wegen ihrer Beiträge in den sozialen Medien an, die in Wahrheit völlig legal sind. Das betrifft leider auch österreichische Staatsangehörige. Insbesondere kurdischen bzw. kurdisch-stämmigen Menschen wird wegen ihrer legitimen Kritik an der Politik der türkischen Regierung, deren völkerrechtswidriger Invasionen in Nordsyrien und Nordirak und wegen der Forderung einer politischen Lösung des kurdisch-türkischen Konfliktes immer wieder die Mitgliedschaft in der PKK vorgeworfen. Manchmal lautet der Vorwurf auf Terror-Propaganda oder Beleidigung des türkischen Präsidenten, aber im Kern geht es immer um dasselbe."

Die Folgen solcher staatlicher Verfolgung können für die Betroffenen aber massiv sein, und das wisse auch die österreichische Justiz, wie Lahner erklärt : "Wenn die Türkei dann versucht, in Österreich lebende Menschen deshalb zu verfolgen und Auslieferungsgesuche stellt, erhält sie in der Regel eine negative Antwort, da auch die österreichische Justiz weiß, dass diesen Menschen in der Türkei kein rechtsstaatliches Verfahren blüht, sondern Folter und Haft unter unmenschlichen Bedingungen."

Onay hatte Glück

Obwohl dem Ersuchen der Türkei nicht stattgegeben wurde, hatte Onay Glück, wie Lahner erklärt: "Auch im konkreten Fall wurde offenbar dem Auslieferungsgesuch nicht stattgegeben. Bedauerlich ist allerdings, dass der Betroffene seitens der österreichischen Behörden nicht früher informiert wurde. Denn wäre er in der Zwischenzeit in die Türkei gereist, etwa um Verwandte zu besuchen, dann wäre er mit hoher Wahrscheinlichkeit in Haft genommen worden."

Im Justizministerium waren am Freitag die Zuständigen nicht erreichbar, weshalb man noch nicht auf Detailfragen zum Fall eingehen konnte. Doch zum Zeitraum, der verstrichen ist, bevor man Onay informierte, heißt es: "In derlei Fällen befasst das Bundesministerium für Justiz die Staatsanwaltschaft mit der Prüfung, ob eine gerichtlich strafbare Handlung vorliegt und dem Rechtshilfeersuchen zu entsprechen ist. Diese Prüfung der Staatsanwaltschaft ist jedenfalls abzuwarten, bevor die betroffenen Personen über das Vorliegen eines Rechtshilfeersuchens informiert werden können. In dem Fall, dass eine strafbare Handlung vorliegt, würde eine Vorabinformation die Strafverfolgung verhindern."

Zuerst "strafrechtliche Prüfung"

Genau so eine strafrechtliche Prüfung sei auch im vorliegenden Fall von Onay passiert. Man sei bei der Prüfung zum Ergebnis gekommen, dass keine gerichtliche Straftat vorliegt und hat dementsprechend Bericht an das Bundesministerium für Justiz erstattet. In weiterer Folge wurde dann der betroffene Politiker informiert.

Die türkische Botschaft in Wien will sich nicht zu dem Fall äußern, weil es sich um "ein laufendes rechtsstaatliches Verfahren" handle. Das Friedensforum Innsbruck sieht "den Versuch staatlicher Stellen der Türkei, die Delegation nachträglich in die Nähe der Förderung von Terrorismus zu rücken", als Angriff auf die eigene Arbeit. Offenbar werde auf diese Weise versucht, Kritiker durch juristische Verfolgung einzuschüchtern. (Steffen Arora, 3.9.2021)