Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz besuchte am Samstag den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić in Belgrad.

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Der Besuch von Sebastian Kurz am Samstag wurde in Belgrad als Hilfestellung für Aleksandar Vučić gewertet, der diese aus zwei Gründen gut gebrauchen kann: Erstens will der allmächtige Staatschef im kommenden Jahr wieder einmal wählen lassen und zweitens möchte er zu diesem Zwecke, dass auch die proeuropäschen gesinnten Kräfte hinter seiner Fortschrittspartei das Kreuzerl machen. Deshalb will er, dass die EU-Staaten zustimmen, dass ein neuer Cluster in den EU-Verhandlungen eröffnet wird.

Kurz versucht Vučić in dieser Causa den Weg zu ebnen. Der österreichische Bundeskanzler sprach sich demnach dafür aus, dass ein neues Verhandlungscluster eröffnet würde, denn es sei "wichtig, dass die enormen Fortschritte anerkannt werden". Kurz wurde von Vučić auch mit dem "Orden der Republik Serbien am Band" für seine Verdienste um die Beziehungen mit Serbien und der gesamten Region des Westbalkans ausgezeichnet. Der Kanzler begründete sein Engagement für Serbien damit, dass die EU berechenbar sein sollte. Offenbar gibt es allerdings unterschiedliche Auffassungen über Fortschritte und Berechenbarkeiten.

Kurz erhielt den "Orden der Republik Serbien am Band".
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Verhandlungen auf Eis

Denn ganz anders als Kurz` Schlussfolgerungen waren jene der EU-Kommission, die im jüngsten Länderbericht 2020 veröffentlicht wurden. Darin werden die antidemokratische und autoritäre Richtung, die Serbien eingeschlagen hat, aber auch die mangelnden Reformen angeführt. Die Mehrheit der EU-Staaten stimmte wegen der durchwegs sehr kritischen Analyse der Kommission im Vorjahr auch nicht mehr dafür, dass Serbien ein weiteres Verhandlungskapitel eröffnen konnte. Damit liegen die Verhandlungen nun praktisch auf Eis.

In dem Bericht wird etwa moniert, dass bei den letzten Lokalwahlen im Vorjahr "die Wahlfreiheit der Wähler durch die massive Präsenz und positive Darstellung der Regierungspolitik in den meisten großen Medien eingeschränkt" war. "Während der Parlamentsdebatten wurden hetzerische Parolen gegen politische Gegner und Vertreter anderer Institutionen, die divergierende politische Ansichten zum Ausdruck brachten, verwendet", heißt es weiter.

"Keine Fortschritte"

Wenn es um die Verwaltung geht, so sieht die EU-Kommission "keine Fortschritte, da die übermäßig hohe Zahl von Führungspositionen nicht nennenswert reduziert wurde". Der Mangel an Transparenz und die Nichteinhaltung des leistungsbezogenen Einstellungsverfahrens für Führungspositionen im öffentlichen Dienst würden zunehmend Anlass zu ernster Besorgnis geben, heißt es weiter.

Auch im Justizwesen seien keine Fortschritte erzielt worden, meint die EU-Kommission. "Die Möglichkeiten für eine politische Einflussnahme auf die Justiz, die nach den geltenden Rechtsvorschriften bestehen, geben weiterhin Anlass zur Besorgnis." Im Bezug auf die Korruptionsbekämpfungen wurden "begrenzte Fortschritte" erzielt, doch "insgesamt gibt die Korruption nach wie vor Anlass zu Besorgnis". Die Zahl der abgeschlossenen Korruptionsfälle auf hoher Ebene sei im Vergleich zu den Vorjahren sogar zurückgegangen. Vor allem die Meinungsfreiheit gibt seit Jahren Anlass zu Sorge, insbesondere "Fälle, in denen Journalisten Drohungen, Einschüchterung und Gewalt ausgesetzt sind".

Bekämpfung der Migration

In zwei Punkten deckt sich allerdings die Analyse der EU-Kommission und jene des österreichischen Bundeskanzlers. "Serbien hat weiterhin einen erheblichen Beitrag zur Steuerung gemischter Migrationsströme in Richtung EU geleistet, indem es eine aktive und konstruktive Rolle übernahm und wirksam mit seinen Nachbarländern und den EU-Mitgliedstaaten zusammenarbeitete", heißt es in dem Bericht. Und auch Kurz lobte in Belgrad, dass "Serbien in den letzten Jahren einen großen Beitrag zur Bekämpfung der illegalen Migration geleistet hat". Gemeint ist damit vor allem, dass Serbien als eine Art Puffer-Staat funktioniert, wo Migranten, die Richtung Mitteleuropa wollen, zumindest teilweise aufgehalten werden.

Kurz hat auch damit recht, dass sich die serbischen Finanz- und Wirtschaftsdaten in den vergangenen Jahren verbessert haben. Allerdings ist in Brüssel angesichts der massiven Investitionen von China auch Kritik zu hören: "Alle Investitionsentscheidungen müssen den EU-Standards für das öffentliche Beschaffungswesen, staatliche Beihilfen, Umweltverträglichkeitsprüfungen und Kosten-Nutzen-Analysen entsprechen", heißt es da.

Serben als Wähler in Österreich

Insbesondere bezüglich Umwelt- und Klimaschutz stehen die chinesischen Investitionen im Energiebereich oft im Gegensatz zu dem, was Serbien eigentlich bereits zugesagt hat. Der Dialog mit dem Kosovo liegt ohnehin komplett auf Eis – Präsident Vučić ist nicht willens ohne Grenzänderungen, den Nachbarstaat anzuerkennen.

Für österreichische Politiker ist Serbien aber aus mehreren Gründen wichtig: In Österreich leben Zehntausende Serben, die mittlerweile die österreichische Staatsbürgerschaft haben und wählen können. Kurz und Vučić kennen sich zudem seit 2014. Und Österreich ist traditionell auch aus wirtschaftlichen Gründen erweiterungsfreundlich gesinnt, zumindest wenn es um die Staaten in Südosteuropa geht. (Adelheid Wölfl, 4.9.2021)