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Sie wollte hoch hinaus, flog aber zu nah an die Sonne. Elizabeth Holmes drohen 20 Jahre Haft.

Foto: Ethan Swope/Getty Images/AFP

San José – Vorübergehend sah es so aus, als würde Elizabeth Holmes ein neues Zeitalter in der Medizintechnik einleiten. Tatsächlich entwickelte sich ihr Start-up Theranos zu einer der größten Bruchlandungen des Silicon Valley. Das Unternehmen wollte eine Maschine entwickelt haben, die anhand weniger Tropfen Blut hunderte Krankheiten erkennt. Edison hieß das Wunderwerkl, ein schwarzer Kasten, der an einen Drucker erinnert.

So viel vorab, das Gerät funktionierte nicht ansatzweise wie versprochen, und vergangene Woche begann im kalifornischen San José der Betrugsprozess gegen Holmes. Sie muss sich wegen zwölf Fällen von Betrug und Anstiftung zum Betrug verantworten. Bei einer Verurteilung drohen der 37-Jährigen bis zu 20 Jahre Haft.

Holmes legte einen steilen Aufstieg hin. 2003 – im Alter von 19 Jahren – verließ sie die US-Elite-Universität Stanford, um Theranos zu gründen. Es folgen beispiellose Jahre der Selbstinszenierung. Als neuer Steve Jobs wurde sie gehandelt. Ein Ruf, den sie zu nutzen verstand. Sie imitierte den verstorbenen Apple-Mitgründer sogar in Sachen Kleidung und trat meist in schwarzem Rollkragenpulli auf. Auch bezeichnete sie ihr Blutanalysesystem immer wieder als "iPod der Medizinbranche". Für Theranos schien es Geld zu regnen, Medienmogul Rupert Murdoch investierte 100 Millionen Dollar, ebenso die einstige US-Bildungsministerin Betsy de Vos.

Wäre da nicht das "WSJ"

Holmes habe "den öffentlichen Hunger nach einer weiblichen Unternehmerpersönlichkeit in der männerdominierten Techwelt gestillt", schrieb der Journalist des Wall Street Journal (WSJ) John Carreyrou in seinem Buch Bad Blood über sie. Er war es auch, der das Theranos-Kartenhaus mit einer Artikelserie zum Einsturz brachte. Wie sich herausstellte, waren viele Ergebnisse falsch, und Theranos nutzte für die Analysen nicht die eigenen, sondern herkömmliche – aber manipulierte – Maschinen von Siemens. In 240 verschiedenen Tests vom Blutzuckercheck bis zur Krebsdiagnose hätte Edison alles ermöglichen sollen. Summa summarum, analysierte Edison treffsicher, ob jemand Herpes hat. That’s it.

Einige Mitarbeiter wurden zu Whistleblowern und machten die Praktiken publik. Carreyrou zufolge habe Theranos viel Druck ausgeübt, um 2015 den ersten Artikel zu stoppen. Vergeblich. Bevor der Schwindel 2016 aufflog, wurde Theranos mit neun Milliarden Dollar bewertet, Holmes’ Vermögen auf rund 4,5 Milliarden Dollar geschätzt. Im selben Jahr kündigte die US-Apothekenkette Walgreens die Kooperation mit Theranos. Bis dahin wurde Holmes auf Magazin-Covern und Konferenzen als erfolgreiche Selfmade-Milliardärin dargestellt.

Es geht bergab

2018 ging es dann noch steiler bergab. Die US-Regulierungsbehörde SEC legte in diesem Jahr Beschwerde wegen Wertpapierbetrugs ein, man einigte sich auf einen Vergleich und Holmes zahlte 500.000 Dollar. Doch es folgte die Anklage wegen Betrugs. Die Ermittler bezichtigen sie unter anderem, von Geldgebern mehr als 150 Millionen Dollar unter Vortäuschung falscher Tatsachen einkassiert zu haben.

Die zentrale Frage im Prozess wird sein, wie viel Holmes tatsächlich gewusst hat. Sie beteuert ihre Unschuld, behauptet, von ihrem damaligen Lebensgefährten und Geschäftspartner Ramesh "Sunny" Balwani getäuscht und manipuliert worden zu sein. Überdies beschreibt sie die Beziehung mit ihm als missbräuchlich.

Der Glaube bleibt

Eine Vielzahl medizinischer Experten kritisierte Theranos von Beginn an. So eine Maschine könne nicht funktionieren. Der tiefe Fall von Theranos schmälert dennoch nicht die Zuversicht im Valley. Allein in den vergangenen zwölf Monaten flossen mehr als 200 Millionen Dollar in Start-ups, die in eine ähnliche Richtung gehen. Genalyte, Truvian Sciences (beide aus den USA) und Sight Diagnostics (Israel) versuchen allesamt Testgeräte zu entwickeln, die anhand weniger Tropfen Blut zuverlässige Ergebnisse ausspucken. Und auch hier finden sich mit Verliy, der Life-Science-Sparte der Google-Mutter Alphabet, oder dem Investmentriesen General Catalyst wieder prominente Geldgeber, wie die Financial Times am Sonntag berichtete. Die Idee fanden schließlich bei Theranos schon alle gut.

Dass in der Welt der Tech-Firmen oft mehr glänzt, als tatsächlich Gold ist, unterstreicht Theranos deutlich. So lange so tun, als ob etwas funktioniert, bis es dann funktioniert. Das hat etwa bei Facebook und anderen berühmten Beispielen geklappt. Investoren wissen, dass sie mit ihrem Geld zocken und Gründer dick auftragen. So läuft das Spiel des Skalierens. In der Medizintechnik zeigt die Erfahrung jedoch, dass "Fake it till you make it" wenig erfolgversprechend ist. Ob Elizabeth Holmes gelogen hat oder Opfer ihrer eigenen Vermarktung wurde, muss nun der Richter entscheiden. (Andreas Danzer, 6.9.2021)