Demonstranten errichteten am Sonntag auf Zufahrtsstraßen ins historische Cetinje Barrikaden aus brennenden Autoreifen.

Foto: SAVO PRELEVIC / AFP

Die Weihe von Bischof Joanikije polarisiert.

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Aus den verkohlten Autoreifen steigen Flammen auf, unten in der Stadt sind immer wieder Schüsse zu hören. Die Rauchschwaden des Tränengases sind kaum verzogen, da brennt schon wieder die Lunge. Wer sich am Sonntagvormittag der alten Residenzstadt Cetinje in Montenegro näherte, konnte meinen, es ginge hier um Ausschreitungen nach einem Fußballspiel oder um einen Bandenkrieg, aber nicht um die Inthronisierung des neuen Bischofs von Montenegro namens Joanikije.

In der Stadt versammelten sich trotz des Tränengases immer wieder Menschen – oft mit roter montenegrinischer Flagge um die Schultern oder mit T-Shirts, die montenegrinischen Nationalstolz demonstrieren – an Häuserecken, um gegen die Amtseinführung zu demonstrieren.

Unter schwerstem Polizeischutz mussten schließlich der serbisch-orthodoxe Patriarch Porfirije und der neue Metropolit Joanikije mit dem Helikopter aus Podgorica eingeflogen werden. Zuvor war die Polizei daran gescheitert, die Straßenbarrikaden zu entfernen, um den Klerikern die Zufahrt zu ermöglichen. Der Anblick der Polizei mit den Gewehren im Anschlag, die das gesamte Viertel rund um das Kloster abriegelte, ließ nun alles andere als Feierstimmung aufkommen.

Bestehen auf Cetinje

Viele hatten noch am Samstag gehofft, dass die Kirche einlenken würde und die Veranstaltung in Podgorica im orthodoxen Tempel stattfindet. Doch Porfirije hatte die Losung ausgegeben, dass man unbedingt nach Cetinje gehen würde. Dies wurde von vielen als Zeichen gewertet, dass der serbische Präsident Aleksandar Vučić das so wollte. Andererseits hatte der montenegrinische Präsident Milo Đjukanović provoziert, indem er etwa noch am Samstag nach Cetinje kam und sich dort von seinen Anhängern feiern ließ.

Beide Seite sprachen von Frieden und Stabilität – verhielten sich jedoch ganz anders. "Das hier ist nicht Serbien", rufen die Demonstranten. Einige haben in einer Bäckerei Zuflucht vor dem Tränengas gesucht. Die Verkäuferin hat genauso rot geschwollene Augen wie die Demonstranten. Auf die Kipferln und Pizzastücke fallen an diesem Sonntag einige Tränen. Das Gerücht geht um, dass eine der Demonstrantinnen, eine schwangere Frau, gestorben sei. Das heizt die Emotionen an.

Machtkampf

Einige junge Männer rennen los, Steine in der Hand. Um die Ecke steht die Polizei, Mann an Mann. Die Brocken fliegen. Tränengaspatronen kommen retour. Es knallt, es raucht. Und drinnen in der Kirche wird der eine Mann mit dem langen Bart von dem anderen Mann mit dem langen Bart eingeweiht. Dabei geht es vielen Menschen gar nicht um Joanikije, sondern um einen Machtkampf zwischen proserbischen Kräften, die die Unabhängigkeit Montenegros von Jugoslawien im Jahr 2006 nie akzeptierten, und jenen, die froh sind, damit nichts mehr zu tun zu haben, und sich als Montenegriner verstehen.

Seit knapp einem Jahr gibt es nun eine Regierung, die der Kirche nahesteht. Seither wurde viel umgefärbt, auch Dutzende Schuldirektoren wurden entlassen. Viele fürchten zudem eine Klerikalisierung und den vermehrten Einfluss aus Belgrad. Die serbisch-orthodoxe Kirche ist ein politischer Akteur, einige ihrer Vertreter verbreiten extremen serbischen Nationalismus. Und Vučić kontrolliert – auch durch Geld – diese Kirche zu großen Teilen.

"Größte Schande"

"Das war die größte Schande, die Montenegro je erlebt hat", meint einer der Demonstranten. "Die haben die Serben mit den Helikoptern unseres Verteidigungsministeriums eingeflogen!" Ein anderer fragt: "Wer hat nun gewonnen? Die oder wir?" Die Bischofsweihe hat jedenfalls tiefe Risse in einer ohnehin gespaltenen Gesellschaft hinterlassen. Während die Männer mit den Bärten wieder in die Hubschrauber steigen, versucht man mit Glockengeläute vom Unfrieden abzulenken. (Adelheid Wölfl aus Cetinje, 5.9.2021)