Das Risiko möglicher Nebenwirkungen hält manche von der Covid-19-Impfung ab. Die Gefahr durch eine Erkrankung ist aber viel höher, sagen die bisher vorliegenden Zahlen.

Illustration: Fatih Aydogdu

Wien – Österreichs Impfprogramm gegen die Corona-Pandemie ist ins Stocken geraten. Lag die Quote im Frühjahr noch so hoch wie kaum in einem anderen Land der EU, werden dieser Tage nur mehr im Osten und auf dem Balkan weniger Impfdosen verabreicht als hierzulande. 70 Prozent der impfbaren Bevölkerung haben zumindest die erste Teilimpfung erhalten. Der Rest ziert sich, meist aus mangelndem Vertrauen. Neben dem Rekordtempo, in dem die Impfstoffe entwickelt wurden, und der teils neuen Technologie erzeugen vor allem auch mögliche Nebenwirkungen Misstrauen.

Fakten dazu veröffentlicht das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG). Alle zwei Wochen listet es alle vermuteten Nebenwirkungen auf, die bisher in Österreich eingemeldet wurden. 37.590 Meldungen aus ganz Österreich erhielt das BASG von Dezember 2020 bis Ende August – bei bis dato mehr als 10,5 Millionen verabreichten Impfdosen.

Effektives Vakzin

Die Meldungen "entsprechen sowohl in ihrer Art als auch in ihrer Häufigkeit den aus den Zulassungsstudien zu erwartenden Reaktionen", wie in dem Bericht festgehalten wird: kurzfristig auftretendes Kopfweh, Müdigkeit, Muskelschmerzen, Fiebrigkeit etwa. Auch Übelkeit, Gelenkschmerzen oder Schwindel finden sich – je nach Impfstoff unterschiedlich oft – darunter. Die nationale Arzneimittelbehörde BASG leitet die Zahlen anschließend an die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) in Amsterdam weiter, die Nutzen und Risiken abwägt. Die Rechnung der Arzneimittelbehörden fällt eindeutig aus, und zwar zugunsten der Impfung: Mit einer Wirksamkeit von über 90 Prozent gehört sie zu den effektivsten Vakzinen überhaupt.

So haben die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) und das Gesundheitsministerium errechnet, dass von allen seit Februar auf Österreichs Intensivstationen wegen einer Covid-19-Erkrankung behandelten Patientinnen und Patienten gerade einmal 0,08 Prozent doppelt geimpft waren. Wer vollimmunisiert ist, läuft in der Regel kaum Gefahr, schwer zu erkranken.

Fünf Milliarden Impfdosen weltweit verabreicht

Die Faktenlage hierzu ist eindeutig, sie basiert auf einem riesigen Pool aus Daten: Mehr als fünf Milliarden Impfdosen wurden inzwischen weltweit verabreicht. Über 370 Millionen sind es allein in den USA und 540 Millionen in Europa. Dass die Gefahr in den allermeisten Fällen nicht von der Impfung, sondern vielmehr von der Krankheit selbst ausgeht, darauf weisen Expertinnen und Experten immer wieder hin. Die österreichische Virologin und promovierte medizinische Wissenschafterin Christina Nicolodi bezeichnet die ins Melderegister eingegangenen Folgen nach einer Spritze als "typisch" und "nicht außergewöhnlich".

Zumal schwere Reaktionen eben nur sehr selten seien. Österreich, sagt Nicolodi, sei ein generell eher meldefaules Land, wenn es um das Bekanntgeben von möglichen Nebenwirkungen gehe.

Doch selten standen Impfstoffe derart unter Beobachtung wie während eines Jahrhundertereignisses wie einer Pandemie. Das betrifft allen voran den in Oxford hergestellten Vektorimpfstoff des schwedisch-britischen Pharmaunternehmens Astra Zeneca. Mehr als die Hälfte aller Meldungen geht auf diesen Hersteller zurück, obwohl die österreichische Regierung wesentlich mehr Dosen des deutsch-amerikanischen Konzerns Biontech/Pfizer gekauft hat.

Hirnthrombosenrisiko durch Covid-19 höher als durch Impfung

In den Fokus geriet Astra Zeneca Anfang April mit dem ersten Fall eines möglichen Zusammenhangs ihres Impfstoffes mit einer seltenen Sinusvenenthrombose. Die EMA startete eine Untersuchung, hielt am Ende aber fest, dass der Nutzen überwiege. Würden solche Thrombosen frühzeitig diagnostiziert werden, stünden die Chancen gut, wieder vollständig zu genesen. Zudem ergeben Studien, dass das Risiko für eine Hirnthrombose durch eine Covid-19-Erkrankung um ein Vielfaches höher ist als nach einer Impfung mit dem Astra-Zeneca-Präparat.

Dasselbe gilt für die noch seltener auftretende schwere Nebenwirkung einer Herzmuskelentzündung nach der Verabreichung eines mRNA-Impfstoffs der Hersteller Biontech/Pfizer oder Moderna. In Österreich wurden bisher 85 Fälle einer solchen vermuteten Myokarditis gemeldet, bei denen eine zeitliche Nähe zur Impfung bestand. Neue Daten aus Israel haben ergeben, dass im Schnitt 2,7 von 100.000 Geimpften eine Herzmuskelentzündung entwickeln. Bei denjenigen, die an Covid-19 erkrankten, waren es elf von 100.000.

Bisher ein bestätigter Todesfall

Todesfälle mit belegtem direktem Zusammenhang mit einer Corona-Impfung zählt der BASG-Bericht bislang einen: Eine 49-jährige Krankenschwester aus Zwettl starb an einer Gerinnungsstörung nach einer Astra-Zeneca-Impfung. Insgesamt werden 144 Todesfälle in zeitliche Nähe zu einer Impfung gebracht, was aber nicht bedeutet, dass sie automatisch mit dieser direkt in Verbindung stehen.

Bei 34 Verstorbenen bestanden zuvor etwa schwerwiegende Vorerkrankungen. Und da zahlreiche hochbetagte Personen eine Impfung erhielten, sei automatisch damit zu rechnen, "dass in einem zeitlichen Zusammenhang" mit dieser auch "natürlich bedingte Ereignisse erwartungsgemäß eintreten", hält der Bericht hier fest. 85 Fälle werden aktuell noch untersucht. (Anna Giulia Fink, Gudrun Springer, 6.9.2021)