Widerstandskämpfer im Panjshir-Tal waren die letzte Bastion gegen die Taliban.

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Kabul – Die radikalislamischen Taliban haben nach eigenen Angaben die letzte Bastion des Widerstands in Afghanistan eingenommen und wollen nun rasch eine neue Regierung bilden. Das Panjshir-Tal sei "vollständig erobert", erklärte Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid am Montag. "Mit diesem Sieg ist unser Land vollständig aus dem Sumpf des Krieges befreit." Es habe bei der Eroberung keine zivilen Todesopfer gegeben. Auch ein Bewohner des Tals bestätigte der dpa, dass Taliban Kontrollposten in seinem Ort aufgestellt hätten. Die Nationale Widerstandsfront (NRF) erklärte hingegen, sie sei weiterhin in "strategischen Positionen" präsent. "Der Kampf gegen die Taliban und ihre Partner wird weitergehen", hieß es von der Gruppe auf Twitter.

In der Nacht auf Montag hatten die Widerstandskämpfer bereits einen Waffenstillstand vorgeschlagen – ein Zeichen für die drohende Niederlage gegen die vorrückenden Taliban. Wie die NRF am Sonntagabend mitteilte, wurden bei den Kämpfen auch ein bekannter Sprecher, Fahim Dashti, sowie ein General der Widerstandsgruppe getötet. Der Anführer der NRF, Ahmad Massoud, gab am Montag auf Twitter bekannt, dass er in Sicherheit sei.

Die Taliban waren am Wochenende im Panjshir-Tal weiter vorgerückt. Sie meldeten schwere Kämpfe und Gebietsgewinne in der Provinz nördlich von Kabul. Bilder in den sozialen Medien zeigten Taliban-Mitglieder vor dem Gouverneurssitz in der Provinzhauptstadt Bazarak. Man habe mehrere "Rebellen" geschlagen, der Rest sei geflohen, sagten die Islamisten am Montag. Man gebe den Menschen dort die volle Gewissheit, dass sie nicht diskriminiert würden und dass "ihr alle unsere Brüder seid und wir einem Land und einem gemeinsamen Ziel dienen werden", hieß es in der Taliban-Erklärung. Auch die Islamisten selbst hätten am Wochenende schwere Verluste erlitten. Nach der Sprengung eines Teils des Berges seien rund 1.000 Angreifer eingekesselt worden, hatte die NRF berichtet.

Tal war bisher in der Hand des Widerstands

Eine Eroberung Panjshirs wäre ein immenser Erfolg für die Taliban. Das Panjshir-Tal war bereits in den 1990er-Jahren eine Bastion des Widerstands gegen die Islamisten und bisher noch nie unter deren Kontrolle. Vor drei Wochen formierte sich in der Hochburg der Tadschiken die Nationale Widerstandsfront unter Führung des Sohns des 2001 getöteten Kriegsherrn und Taliban-Gegners Ahmed Shah Massoud sowie des ehemaligen Vizepräsidenten Amrullah Saleh. Letzterer soll inzwischen nach Tadschikistan geflohen sein.

Massoud hatte noch am Sonntag erklärt, die Nationale Widerstandsfront sei bereit, den Krieg sofort zu beenden, falls die Taliban ihre Angriffe in Panjshir beenden. Man strebe eine politische Einigung an, bei der alle gesellschaftlichen Gruppen vertreten seien. Die Taliban sprachen hingegen von "negativen Antworten" der NRF beim Versuch zu verhandeln.

Taliban garantieren humanitären Helfern Sicherheit

In Gesprächen mit der Uno haben die Taliban indes zugesichert, dass Mitarbeiter von Hilfsorganisationen sich im Land frei und sicher bewegen könnten. Der UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths habe die Taliban-Führung in Kabul getroffen, erklärte ein UN-Sprecher am Sonntag. Fast die Hälfte der 38 Millionen Einwohner Afghanistans benötigt nach Einschätzung der Uno Unterstützung. Die Vereinten Nationen hatten am Freitag eine hochrangig besetzte Hilfskonferenz für Afghanistan angekündigt. Das Treffen auf Ministerebene soll am 13. September in Genf stattfinden.

Noch keine offizielle Regierung

Wann die Taliban ihre Regierung vorstellen werden, ist weiter unklar. Es gibt Berichte, wonach die Taliban-Führung erst die Panjshir-Frage gelöst haben will. Beobachter berichten aber auch von internen Querelen und Postenschacher. Das wies Taliban-Sprecher Mujahid am Montag zurück. Die Zusammensetzung der Regierung werde bald verkündet, es gebe nur technische Probleme. "Wir hoffen, dass wir die Ankündigung der Regierung in den nächsten Nächten hören, auch wenn das genaue Datum noch nicht klar ist", so Mujahid.

Gerüchte über Unstimmigkeiten über die Bildung innerhalb der Bewegung dementierte er. Zuletzt hieß es immer öfter, ihr würden ausschließlich Taliban-Mitglieder angehören. Das widerspricht Forderungen aus dem Ausland sowie Versprechen der Islamisten, auch andere Politiker einzubinden.

Besonders bei Frauenrechten versuchen die Islamisten ein moderneres Bild zu vermitteln als noch unter ihrer Herrschaft zwischen 1996 und 2001. So betonte Taliban-Sprecher Mujahid in der "Bild"-Zeitung, dass die Taliban einen Besuch von Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel begrüßen würden. "Angela Merkel würde besonders herzlich aufgenommen werden. Wir würden uns wirklich sehr über sie freuen", sagte Mujahid. "Wir wollen eine voll und ganz sichere Umgebung hier in Afghanistan – das von allen Ländern der Welt akzeptiert wird und an das die Staats- und Regierungschefs glauben."

Menschen warten weiterhin auf Evakuierung

Gleichzeitig warten noch zahlreiche Menschen auf Evakuierungsflüge aus Afghanistan. Medienberichten zufolge sitzen rund tausend Personen trotz Visa für die USA oder andere Länder den fünften Tag infolge am Flughafen in Mazar-e-Sharif in Afghanistan fest. Sechs Flugzeuge mit Amerikanern und afghanischen Dolmetschern an Bord könnten nicht abheben, weil sie von den Taliban keine Freigabe erhalten hätten, sagt der ranghöchste Republikaner im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des US-Repräsentantenhauses, Mike McCaul, dem TV-Sender Fox News Sunday. McCaul sprach davon, dass die Taliban die Passagiere "als Geiseln" halten würden. Dem widersprechen allerdings mehrere Berichte.

Die Maschinen hätten die notwendige Freigabe erhalten und warteten auf die endgültige Genehmigung der Taliban, zitiert die "New York Times" die Organisatoren der Evakuierungsflüge in Katar. "Die Taliban halten die Flugzeuge nicht als Geiseln fest", zitierte die Zeitung Eric Montalvo, einen pensionierten Major der US-Marine, der an der Durchführung der Flüge beteiligt ist. (APA, brun, 6.9.2021)