Am kommenden Mittwoch beginnt am Landesgericht St. Pölten ein Prozess gegen jenen Mann, dessen Pläne die Republik im Mai 2019 nachhaltig erschüttern sollten. Der mutmaßliche Drahtzieher hinter dem Ibiza-Video, Julian H., lockte als Begleiter einer falschen Oligarchennichte Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, seinen damalige Vize Johann Gudenus sowie dessen Ehefrau zwei Jahre zuvor bekanntlich in eine spanische Finca. Nun muss sich H., der seit Monaten in U-Haft sitzt, wegen Drogendelikten verantworten. Laut Anklage soll der Privatdetektiv in den Jahren 2017 und 2018 mehr als ein Kilogramm Kokain zu einem Grammpreis von 40 Euro nahe der niederösterreichischen Stadt Haag übergeben haben. H., der von Zeugen belastet wird, drohen bis zu 15 Jahre Haft.

Julian H., blaues Hemd und weiße Hose, im Gespräch mit Ex-FPÖ-Chef Heinz Christian Strache und seinem damaligen Vize Johann Gudenus auf Ibiza.
Foto: Spiegel/SZ

Im Vorfeld des Prozesses formulierten nun 15 österreichische und internationale Menschenrechtsorganisationen einen offenen Brief, in dem sie sich hinter Julian H. stellen. Sie zeigen sich "besorgt" darüber, dass die "ausufernde Strafverfolgung" auf künftige Aufdeckerinnen und Aufdecker abschreckend wirken könnte, ebenso auf die Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit in Österreich. Menschenrechtsexperte Manfred Nowak und NGOs wie Epicenter Works sehen die Ermittlungen gegen H. kritisch, die aus ihrer Sicht auf "teils konstruierten Vorwürfen basieren" und dazu genutzt worden seien, "den Aufdecker zu diskreditieren und seiner Person habhaft zu werden".

Im Zuge der Aktion veröffentlicht Epicenter Works 442 geschwärzte Seiten des Gerichtsakts, um die Informationen der bisherigen Strafverfolgung für die Öffentlichkeit nachvollziehbarer zu machen.

Aussage nachträglich abgeändert

Tatsächlich kam es im Zuge der Ermittlungen zu Auffälligkeiten. Es war der ehemalige Geschäftspartner Sascha W., der bereits im Juni 2019 den Vorwurf des Drogenhandels gegen H. aufbrachte. W. scheint nach Recherchen der "Süddeutschen Zeitung" aber kein allzu verlässlicher Zeuge zu sein. Schon 2016 soll dieser H. in einem Verfahren mit Vorwürfen belastet haben, die das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung aber für schlicht nicht wahr hielt. Auch diesmal konnten die Zeugen laut der Zeitung die Aussagen von W. nicht bestätigen. Gegen Julian H. liegt allerdings schon eine frühere Verurteilung im Bereich der Suchtmittelkriminalität vor.

Dann ist da noch Slaven K. Gemeinsam mit Kollege Edis S. arbeitete er als Informant für das Bundeskriminalamt im Bereich organisierte Kriminalität. Die beiden Männer, die mit H. bekannt sind und gegen die im Ibiza-Komplex ermittelt wird, verkauften zwischenzeitlich Informationen an einen rechten Blog aus Österreich – und legten damit auch falsche Fährten.

K. ist aber auch hinsichtlich der Drogentangente relevant. Bei jenem Mann und seiner Bekannten H. wurden im Zuge von Hausdurchsuchungen tatsächlich Drogen gefunden. Diese wurden Julian H. im Laufe der Ermittlungen zugeschrieben, obwohl K. und dessen Anwalt angaben, dass die Drogen nicht vom mutmaßlichen Ibiza-Drahtzieher stammten. Doch als Kollege S. zugunsten von K. aussagte, revidierte dieser seine vorherige Geschichte. Nun soll der Ibiza-Drahtzieher tatsächlich Drogen geliefert haben, seine Mutter in Serbien sei auch von den "Leuten" des Privatdetektivs vor der Hauptverhandlung im September 2020 bedroht worden. K. wurde wegen der Drogen zuvor zu drei Jahren Haft verurteilt. Nach seiner Aussage entließ man ihn in einen elektronisch überwachten Hausarrest.

Hinweise hätten Ibiza-Video "erübrigt"

Mitte Dezember 2020 wurde Julian H. mit europäischem Haftbefehl in Berlin festgenommen und nach Österreich ausgeliefert. Am 4. Juni dieses Jahres folgte die Anklage gegen H. Neben den Drogendelikten wird dem Ibiza-Drahtzieher auch Dokumentenfälschung zur Last gelegt. Es geht um den Besitz und die Übergabe eines gefälschten slowenischen Führerscheins und Personalausweises, lautend auf den Namen einer Bekannten, sowie um einen gefälschten slowenischen Führerschein, den Julian H. am 7. Mai 2019 bei einer Polizeikontrolle vorgewiesen haben soll. Der Angeklagte will sich nicht schuldig bekennen, sagte sein Anwalt, der Verteidiger Oliver Scherbaum, im Vorfeld.

Nach Meinung von Thomas Lohninger, Geschäftsführer von Epicenter Works, soll hier ein Exempel statuiert werden, um potenzielle Informantinnen und Informanten zu verschrecken. "Die Weitergabe und Veröffentlichung des Videos waren von der Meinungs- und Informationsfreiheit geschützt – dies wurde sowohl von der österreichischen als auch der deutschen Justiz bereits festgestellt", sagt Lohninger. "Es drängt sich daher stark der Eindruck auf, dass die österreichischen Behörden nun andere strafrechtliche Vorwürfe heranziehen beziehungsweise in ausufernder Weise verfolgen, um Julian H. mundtot zu machen." Wären die Behörden schon 2015 Hinweisen in Bezug auf die Korrumpierung Straches ebenso intensiv nachgegangen wie den Ermittlungen gegen H., hätte sich laut dem früheren Programmierer "jede Notwendigkeit für ein Ibiza-Video erübrigt". (Jan Michael Marchart, 7.9.2021)