Sinnvolles Hilfsmittel oder Überwachungsgerät? Die Einsatzmöglichkeiten für Webcams sind weit gestreut.

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Timedoctor, Teramind, Activtrak, Hubstaff, Sneek. Zahlreiche Menschen, bei denen der berufliche Alltag aufgrund der Pandemie ins Homeoffice verlagert hat, haben in den vergangenen anderthalb Jahren Bekanntschaft mit einem dieser Programme oder ähnlicher Software gemacht.

Hinter den harmlos scheinenden Namen verstecken sich Tools, die unter anderem darauf ausgelegt sind, die Aktivitäten von Mitarbeitern aus der Ferne zu überwachen. Die Kontrollmöglichkeiten sind mannigfaltig und sorgen auch für Kritik der Betroffenen und durch Privacy-Experten. Dem Erfolg der "Petzsoftware", auch "Bossware" genannt, hat das bislang keinen Abbruch getan. Ihre Hersteller gehören zu den großen Gewinnern der Corona-Zeit.

Von 50 zu 9.000 Kunden

Rund 50 Kunden hatte Activtrak, bevor sich Sars-CoV-2 global ausbreitete. Bereits im März 2020, als auch in Österreich die Verlagerung ins Homeoffice richtig anlief, waren es nach Angaben der Firma bereits 800. Mittlerweile sollen es ganze 9.000 Kunden beziehungsweise eine Viertelmillion "individueller Nutzer" sein. Auch die anderen Anbieter vermeldeten eine ähnliche Entwicklung.

Bei den Mitarbeitern kommen diese Maßnahmen längst nicht immer gut an, berichtet die BBC. Ein 23-jähriger Angestellter im Marketingbereich im US-Bundesstaat Virginia berichtet dort von seinen Erfahrungen. Er hatte seinen Job gerade erst neu angetreten und noch etwas Probleme, an die Kollegen anzuknüpfen. Vom Homeoffice erhoffte er sich eine Auszeit von Smalltalk und Büropolitik, doch das sollte sich nicht erfüllen.

Schon wenige Tage nach der Umstellung brachte seine Firma die Software Sneek an den Start. Diese nutzte in diesem Fall die Webcams der Firmenlaptops, um ungefähr einmal pro Minute ein Foto zu machen. Dieses wurde dann in einen digitalen Konferenzraum integriert. Per Klick lässt sich eine Person direkt in ein Videotelefonat holen. Sieht man auf einer der Aufnahmen jemanden beim Zeitverschwenden, kann die Aufnahme per Klick in einen Chat im Arbeitsmessenger Slack weitergeleitet werden.

Der junge Marketingmitarbeiter kündigte nach nicht einmal drei Wochen und hat mittlerweile eine andere Stelle. "Ich habe dort begonnen, um digitales Marketing zu betreiben, nicht um mein Wohnzimmer live zu streamen", erklärt er diesen Schritt. Sneek-Mitgründer Del Currie kann das nachvollziehen. Es sei ihm zu 100 Prozent klar, dass einige Menschen den Einsatz der Software als Eingriff in die Privatsphäre sehen. Und Sneek sei auch gar nicht für dafür gedacht, sondern für Teams, deren Mitglieder befreundet sind und die auch während der Arbeit stärker verbunden bleiben wollen.

Umfassende Möglichkeiten

Manche Programme und die Arbeitgeber, die sie einsetzen, gehen aber noch weiter. Die Bandbreite der Features reicht vom Abhören von Telefongesprächen, Fernzugriff auf Handys und Rechner, Analyse der Surfhistorie des Browsers, E-Mail-Scans auf bestimmte Schlagworte bis hin zur Überwachung von Tastatureingaben.

Was eingesetzt werden kann, hängt freilich davon ab, wie die Datenschutzrichtlinien im jeweiligen Land oder Bundesstaat aussehen und inwieweit betriebliche Vereinbarungen Ausnahmen ermöglichen. Die Verwendung mancher Kontrollfeatures wäre etwa in der EU speziell aufgrund der Datenschutzgrundverordnung schwierig bis unmöglich auf legale Weise möglich.

Es gibt aber auch immer wieder lauten Widerstand gegen Mitarbeiterüberwachung. Eine Welle an Kritik bewog etwa den Videokonferenz-Anbieter Zoom dazu, ein neues Feature namens "Attention Tracking" wieder zu entfernen. Dieses ermöglichte es dem Initiator eines Videocalls, eine Benachrichtigung zu erhalten, wenn das Programm feststellte, dass ein Teilnehmer länger als 30 Sekunden ein Programm abseits von Zoom nutzte. Microsoft anonymisierte seinen "Produktivitäts-Score" von Office 365, der unter anderem E-Mail-Aktivität und Verbindungsdauer misst.

Oft wenig Widerstand bei Mitarbeitern

Der Privacy-Experte Juan Carloz von der University of Melbourne sieht insgesamt aber trotzdem kein Abnehmen des Trends. Gesetzgeber reagieren nicht, und auch Mitarbeiter lassen die Einführung von solchen Überwachungstools meist einfach über sich ergehen, weil ihnen erklärt werde, dies sei ein notwendiger Abtausch für die Möglichkeit, von daheim aus zu arbeiten. Die Bossware lasse auch die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben weiter verschwimmen und könne es neugierigen Chefs auch ermöglichen, in privaten Informationen der Mitarbeiter zu stöbern. In vielen westlichen Ländern sei der rechtliche Schutz nicht ausreichend.

Elizabeth Lyons, Managementprofessorin an der University of San Diego, sieht mögliche Vorteile im Mitarbeiter-Monitoring. Bei einer Untersuchung von Büromitarbeitern fand man heraus, dass jene, die von ihrer Überwachung wussten, produktiver waren als jene, die nicht im Bilde waren. Überbordende Überwachung allerdings könne einen gegenteiligen Effekt haben. Bei der Analyse anderer Untersuchungen habe man gelernt, dass Mitarbeiter, die sich auf Schritt und Tritt beobachtet fühlen, oft auf "Dienst nach Vorschrift" umsatteln und nicht mehr tun, als von ihnen erwartet wird. (gpi, 6.9.2021)