Der Tod eines Teenagers bringt einen 30 Jahre alten Familienvater und einen 20-Jährigen vor Richterin Daniela Zwangsleitner im Landesgericht für Strafsachen Wien.

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Wien – "Purple Drank" lautet einer der Namen für die Kombination aus Limonade oder Saft und Codein, dem vor allem als Hustenstiller bekannten Opiat. Die gleichzeitig euphorisierende und verlangsamende Wirkung wird derzeit vor allem offenbar von Rappern geschätzt, die die Mixtur auch immer wieder besingen. "Auf Youtube" habe er es gesehen, verrät der 20-jährige Zweitangeklagte I. Richterin Daniela Zwangsleitner. Und daher hätten er, sein ein Jahr älterer Cousin und zwei Freunde es in der wochenendlichen Nacht vom 11. auf den 12. Dezember ausprobieren wollen. Für einen 17-Jährigen endete das tödlich.

Das Codein kam vom Erstangeklagten Marcel Heino Babic (Name geändert, Anm.), 30-jähriger Familienvater sowie Nachbar und damals zusätzlich I.s Chef in einem kleinen Familienbetrieb. Er habe sich nach einem schweren Unfall an Schmerzmittel gewöhnt, erklärt Babic der Richterin. Der Arzt habe ihm dann Ersatzstoffe verschrieben – zunächst Substitol, das er nicht so gut vertrug, dann Codein. Aus dem er sich daheim seine Mischungen fabrizierte.

Angestellter entdeckte Drogenersatzstoff

"Woher wusste Ihr Angestellter, dass Sie sowas daheim haben?", interessiert Zwangsleitner. "Er hat es einmal in einer Tasche von mir entdeckt und gefragt, was das ist", sagt der Erstangeklagte. Er habe erklärt, es seien "Suchtmittel, die komplett zua machen", und dass er sie als Ersatzstoff verschrieben bekomme.

In der fraglichen Nacht habe er bereits geschlafen, als I. ihn gegen Mitternacht anrief und Codein wollte. "Ich habe dann das Handy auf Flugmodus geschaltet", erinnert Babic sich. I. habe nicht lockergelassen und Steinchen gegen das Schlafzimmerfenster geworfen. Darunter standen der Zweiangeklagte und seine drei Freunde und verlangten das Rauschmittel. "Weil sie sich zubirnen wollen."

"Ich war panisch, ich hatte Angst"

Zunächst habe er abgelehnt, beteuert der Erstangeklagte. Er wisse, wie gefährlich es sein kann. Dann habe er bei einem der Gruppe aber eine silbrig glänzende Waffe entdeckt: "Ich war panisch, ich hatte Angst, ich kannte das von Simmering, wenn jemand unbedingt was will." Also habe er nachgegeben – "Ich habe mir gedacht: 'Aus, scheiß drauf', habe 350 Milliliter in eine Trinkflasche mit Saft gegeben und hinuntergeworfen." Etwa eine Stunde später seien die anderen retour gekommen, diesmal habe er ihnen aber nur Saft ohne Codein gegeben.

"Es war so eine Kurzschlussreaktion", fasst er zusammen, während er mehrmals mit den Tränen kämpft. "Wissen Sie, wie das ist, wenn der Kopf 1.000 Grad bekommt, man schuld am Tod eines anderen ist?", fragt Babic die Richterin. Die weiß es nicht. Dass der 17-Jährige in der Nacht starb, erfuhr er am nächsten Morgen vom Zweitangeklagten. Er habe ihn gebeten, bei der Polizei nichts von seiner Involvierung zu erzählen. Er habe zwar zwischen 2009 und 2016 vier Vorstrafen bekommen, aber mittlerweile ein normales Leben aufgebaut. "Deswegen bin ich ausgestiegen aus diesen Kreisen!"

Falsche Zeugenaussage für den Chef und Nachbarn

Zweitangeklagter I. hielt sich zunächst an die Vereinbarung und erzählte, zwei Unbekannte hätten ihm den "Purple Drank" überlassen. Erst nachdem ihm sein Vater und seine Mutter ins Gewissen geredet hatten, ging er einige Stunden später zur Polizei und sagte die Wahrheit, weshalb er sich nun wegen falscher Beweisaussage und versuchter Begünstigung verantworten muss.

I. erzählt auch die Vorgeschichte des fatalen Abends. Zunächst seien er und die anderen bei der Tankstelle gewesen und hätten Jägermeister und Bier gekauft und das in der Nähe des Wohnhauses getrunken. "Aber es war Lockdown, dann war die Tankstelle zu." Gemeinsam beschloss man, auf Codein umzusteigen, behauptet der Zweitangeklagte. Er hatte vom Konsum seines Chefs erzählt, nun bedrängten ihn angeblich die anderen, die Mischung zu besorgen.

"Ich wurde von denen zwei, zweieinhalb Stunden gezwungen, den Scheiß zu besorgen", stellt er in den Raum. "Meine Mutter und Schwester haben das alles gesehen vom Balkon." – "Und warum sind die dann nicht runtergekommen und haben Sie geholt?", will die Richterin wissen. I. weicht aus, stellt dann aber klar: "Ich kann ja nicht meine Mutter anrufen und sagen: 'Mama, ich werde da bedroht!''" – "Warum nicht?", kann Zwangsleitner nicht ganz folgen. Vor allem, da der Zweitangeklagte dann ja mit den anderen bis drei Uhr morgens auf einem Spielplatz war, wo später die Leiche des 17-Jährigen entdeckt wurde.

Cousin belastet Zweitangeklagten

I.s Cousin, der selbst im Koma lag und nur knapp überlebte, belastet dagegen seinen Verwandten. Der habe nämlich das Codein aufgebracht, als der Alkohol zur Neige ging. "Wir wollten noch ein bisschen Spaß", sei damals der Hintergedanke gewesen. Das Codein sei "super", habe I. gesagt, "wie Alkohol und Cannabis zusammen". Der Zeuge behauptet, die erste Übergabe habe bei der Wohnungstür von Babic stattgefunden, erst die zweite Flasche sei aus dem Fenster geworfen worden.

Dass der Tote eine Schreckschusspistole bei sich hatte, bestätigt der Cousin, damit sei aber niemand bedroht worden. Ein weiterer Zeuge, das sehr selbstbewusst auftretende dritte Gruppenmitglied, behauptet gar, insgesamt seien vier Flaschen "Purple Drank" konsumiert worden – und alle habe I. geholt. "Das stimmt nicht, sie suchen einen Schuldigen", verteidigt sich der mittlerweile arbeitslose Zweitangeklagte, der eine bezirksgerichtliche Verurteilung zu einer Geldstrafe bisher nicht beglichen hat. "Dazu würde ich Ihnen dringend raten, sonst gehen Sie 60 Tage ins Gefängnis", klärt Zwangsleitner ihn auf.

15.000 Euro Schmerzengeldforderung

Privatbeteiligtenvertreterin Barbara Steiner fordert für die hinterbliebenen Eltern 15.060 Euro Trauerschmerzengeld und Gerichtsgebühren vom Erstangeklagten. "Das kann niemals Ausgleich für den Verlust eines Sohnes sein", stellt sie in ihren Schlussworten klar. "Der sein Leben noch vor sich hatte, keinen Alkohol trank und laut seiner Mutter manchmal nicht einmal Medikamente nahm, da er sich nicht vergiften wollte."

Harald Schuster, Verteidiger von Babic, ist dieses Erklärungsmuster zu einseitig. "Vielleicht sollte man auch einmal bei seinen Freunden nachfragen", fordert er. Als 17-Jähriger während des Lockdowns auf einem nächtlichen Spielplatz zu feiern würde nicht ganz zum vermittelten Bild passen. "Ein Mitverschulden der anderen ist sicher gegeben", zeigt Schuster sich überzeugt, daher werde nur ein Teil der geforderten Summe anerkannt.

Beide Angeklagten nutzen die Möglichkeit ihres Schlussworts, um sich bei Vater, Mutter und Schwester des Toten zu entschuldigen. Dann wird Babic zu 24 Monaten, davon acht unbedingt, und I. zu sechs Monaten bedingt verurteilt. Das Duo akzeptiert die Strafe, die Staatsanwältin gibt keine Erklärung ab, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 6.9.2021)