Aus dem Zinnsoldaten wird ein zittriges Reh: Bibiana Beglau als Elisabeth.

Foto: Matthias Horn

Es ist eine der berühmtesten Szenen der Dramengeschichte. Maria Stuart trifft auf Elisabeth, wobei die schottische Königin die Gefangene der englischen ist. Im Wiener Burgtheater spielt diese zentrale Szene in einem leeren Bühnenraum. Die 32 nackten Männer, die in Martin Kušejs Inszenierung zu einer Art Bühnenbild werden, sind plötzlich verschwunden. Nur eine einsame Glühbirne baumelt von links nach rechts.

Es ist eines der stärksten Bilder an diesem bildstarken Abend. Ein Symbol des permanenten Kräftemessens. Ist Maria Stuart der englischen Königin als Tote oder als Lebende gefährlicher? Rund eineinhalb Stunden vorher war es der Kopf der Stuart, der durch den Bühnenraum (Annette Murschetz) sauste. Ein vorweggenommenes Ende, das Schillers Intrigenspiel aber nicht für eine Sekunde die Spannung nimmt.

Nach der Premiere bei den Salzburger Festspielen ist das Königinnendrama jetzt ans Burgtheater übersiedelt. Die Mikroports, die auf der Perner-Insel akustisch notwendig waren, sind verschwunden, die nackten Männer, die bei der Premiere für so viel Aufsehen sorgten (und natürlich auch der konzentrierte Rest), sind noch da. Unter dem Händchen von Burgtheaterchef Martin Kušej wird Schillers perfekt gebaute Tragödie zum atemlosen Machtthriller. Wobei der Kampf um die Macht einer über den Körper ist.

Gebeugte Minichmayr

Daran lässt diese Inszenierung von Anfang an keine Zweifel. Gebeugt und in Fesseln steht die Maria Stuart der starken Birgit Minichmayr inmitten der Heerschar nackter, durchgestreckter Männerkörper. Ihre Kontrahentin mag zwar Elisabeth heißen, und sie mag selbst eine Königin sein, die männlichen Körper beanspruchen in diesem Spiel aber ihr eigenes Recht. Das ist bei der Elisabeth der Bibiana Beglau nicht viel anders. Mit kerzengeradem Rückgrat bewegt sie sich durch die höfische Männerwelt – diese Schauspielerin, die so wunderbar geschmeidig sein kann, gibt die Königin als zackigen Zinnsoldaten, die in sich zusammenkracht, nachdem sie zum Spielball ihres ränkeschmiedenden Hofstaates wurde.

Starkes Ensemble

Dieser ist komplett männlich und mit Franz Pätzold (Mortimer), Norman Hacker (Burleigh) und Itay Tiran (Leicester) ähnlich eindrucksvoll besetzt wie die beiden Königinnen. Wie um ein Stück Fleisch scharen sich die Höflinge um die Futtertröge der Macht, sie buckeln und antichambrieren und teilen sich hinter dem Rücken der Königin ihren eigenen Platz im Staate zu, bis diese zu Boden geht.

Wie ein zittriges Reh wirft sich Elisabeth Baron von Burleigh an den Hals, selbst erschrocken über das Todesurteil über Stuart, das sie auf die Rücken der Männerbrigade mit rotem Filzstift gekritzelt hat.

Man mag es vielleicht etwas altmodisch finden, wie Kušej ganz seinen Schauspielern und der Kraft von Schillers Worten vertraut. Ganz langsam dreht er an dramaturgischen Schräubchen: Nach dem Zusammentreffen der beiden Königinnen inszeniert er den fehlgegangene Anschlag auf Elisabeth als wildgewordenes Karussell der nackten Männerkörper, bevor er wieder auf die Bremse steigt.

Dadurch entwickelt der Abend einen ungemeinen Sog. Die Deutung indes, die Kušej mit seiner Brigade an Männerkörpern anbietet, verortet das Intrigenspiel in einer Welt, in der die Macht des Geschlechts jene des Status übertrifft. Das sollte uns bekannt vorkommen. (Stephan Hilpold, 6.9.2021)