Pretty Yende als Violetta Valéry und Frédéric Antoun als Alfredo Germont gegen Ende einer Statusmeldungskarriere.

Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Geht Cathy Hummels in die Oper? Ein schneller Blick in ihren Instagram-Account (640.000 Follower) lässt vermuten: eher nicht. Wenn doch, dann wäre Simon Stones Traviata-Update ein idealer Einstieg für die Influencerin. Violetta Valéry hat bei Stone auch superviele Follower, ein eigenes Parfum, aber leider auch einen Tumor. Letzten Endes ergeht es ihr in der szenischen Neudeutung auch nicht besser als seinerzeit bei Otto Schenk. Die Glamourfrau stirbt, an Krebs und an der Feindlichkeit der Bourgeoisie. Nach einem Partyleben in aseptischer Oberflächlichkeit darf sie sich bei Stone immerhin vom Kranken(haus)bett aufraffen und in Richtung ewiges Licht dahinscheiden.

Die aus Paris übernommene, adaptierte Produktion hatte an der Staatsoper vergangenen März Premiere – von der das Publikum pandemiebedingt exkludiert war. Am Sonntagabend bejubelte Letzteres vor allem Pretty Yende. Die Südafrikanerin (48.700 Instagram-Follower) machte ihre Sache als Violetta auch ziemlich gut. Der erste Akt war noch eher na ja, vor allem darstellerisch: so behäbig, so schläfrig, kaum Champagnerprickeln in ihrer Bühnenpersönlichkeit. Ihren metallisch-festen, strahlkräftigen Sopran führte Yende in etwas eckiger Manier.

Im zweiten Akt fesselte die 36-Jährige aber mit dramatischer Intensität, etwa beim Non sapete quale affetto. Im Duett mit Giorgio Germont folgten großzügig dimensionierte Crescendi, die Yende aus einem Superpianissimo heraus etwas manieriert entwickelte. Aber als Country-Girl mit Traktor schien sie sich nicht nur outfitmäßig wohler zu fühlen als zuvor im goldenen Glitzer, auch ihr Gesangsverhalten gewann an Natürlichkeit. Man merkte Yende bei ihren Kunststückchen die innere Kontrollinstanz nicht mehr an.

Vom Weichen ins Heldische

Wechselhaft auch die Performance von Frédéric Antoun, der bei seinem Staatsoperndebüt (als Alfredo) auf Juan Diego Flórez’ Spuren wandelte und erst mit samtener Lyrik punktete. Zu Beginn des zweiten Aktes versuchte der junge Kanadier, sein Stimmmaterial vom Weichen ins Heldisch-Virile zu verhärten und erlitt dabei fast Schiffbruch. Es wäre schön, an der Staatsoper mal wieder einen Alfredo zu hören, der sich nicht aus lyrischen Gefilden emporzukämpfen versucht.

Ludovic Tézier war als Germont "père" ganz bürgerliche Strenge. Der spießige Familienvater passt zum Stimmcharakter des französischen Baritons etwas besser als der Sadist Scarpia, den Tézier zuletzt bei den Salzburger Festspielen, in Graz und auch an der Staatsoper gegeben hatte. Der Staatsopernchor machte seine Sache grundsolide; schade nur, dass er bei Stone fast noch statischer agiert als zu Karajans Zeiten. Und Nicola Luisotti startete im Orchestergraben wie beim Falstaff recht spröde, ein Mario Draghi der Dirigentenzunft. Im zweiten Akt taute der Italiener Gott sei Dank auf und stachelte das Staatsopernorchester zu einigen furiosen Ausbrüchen an. Was Cathy Hummels wahrscheinlich auch aufgefallen wäre. (Stefan Ender, 6.9.2021)