Lange vor dem Anschlag entstanden, konnte es nach den Anschlägen von 9/11 nicht veröffentlicht werden. Das seherische Albumcover der US-Hip-Hopper The Coup.

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Mit bebender Stimme richtete John Cale aus: "New Yorkers, you are the very best!" Es war nicht der überzeugendste Moment des mit der (New Yorker) Band The Velvet Underground berühmt gewordenen Walisers. Doch er zeigte, welche Ohnmacht die Popmusik nach 9/11 empfand.

9/11 ist als Chiffre für einen islamistischen Terroranschlag in die Geschichte eingegangen: Am 11. September 2001 sind zwei von Terroristen entführte Passagierflugzeuge mutwillig in die beiden Türme des New Yorker World Trade Centers gekracht und haben diese zum Einsturz gebracht. Das war nicht nur ein symbolisch obszöner Gewaltakt, knapp 3000 Menschen verloren an diesem Dienstagmorgen vor 20 Jahren ihr Leben.

Durchhalteparolen

Nun tut sich Popmusik mit Politik meist schwer. In ein paar Minuten und mit wenigen Akkorden Weltpolitik oder von ihr ausgelöste Gefühle auf den Punkt zu bringen überfordert, weshalb die meisten der durch 9/11 hervorgerufenen musikalischen Reaktionen von bescheidener Qualität waren.

Menschlich nachvollziehbar beschränkten sich viele darauf, Durchhalteparolen zu skandieren, patriotische Drohungen zu bellen, oder ergingen sich in Hommagen an die Rettungskräfte. Das Wort "Hero" – Held – wurde dermaßen strapaziert, dass jeder, der ein Feuerzeug ausmachte, schon als solcher galt. Fast.

Subjektive Katastrophen

Dabei reklamiert die Katastrophe einen Ehrenplatz in der Popmusik, aber doch meist nur die individuelle: Love Hurts, Crying,Only the Lonely, I’m Hurtin ... – das sind bloß vier Songs aus dem Œuvre des Roy Orbison, subjektive Weltuntergänge allesamt.

Mit kollektiven Katastrophen tut sich Popmusik schwerer. Das Einzelschicksal universell darzustellen ist einfacher, als 3000 von den Trümmern zweier Wolkenkratzer erschlagenen Menschen gerecht zu werden. Das Unfassbare wird nicht als solches akzeptiert, oft folgt das Unsägliche. Zumal gilt, dass Pathos und Bombast nie weit sind, wenn der Patriotismus strapaziert wird. Siehe die Filme von Roland Emmerich, nur so als Beispiel. Nach 9/11 war das nicht viel anders.

Trost und Wertschöpfung

Country-Stars wie Toby Keith (Beer for my Horses) ergingen sich in klischeehaften Rachegelüsten wie Courtesy of the Red, White and Blue (The Angry American), Neil Young stolperte durch ein gut gemeintes Let’s Roll, Bon Jovi raspelte America the Beautiful und Another Reason to Believe. Paul McCartney dichtete Freedom und stand auf der Bühne des Madison Square Garden, als dort ein Monat später eine prominent besetzte Benefizveranstaltung stattfand, auf der viele Hinterbliebene von Opfern der Anschläge Trost in der Gemeinschaft mit anderen Betroffenen suchten.

Und dann war da noch Bruce Springsteen, der massentaugliche Darsteller des guten weißen Amerikaners auf den unteren Stufen der sozialen Leiter. Sein 2002 erschienenes Album The Rising vermaß die kollektive Trauer 72 Minuten lang. Eine episch betroffene Wertschöpfungsarbeit, weitgehend aus der Perspektive Amerikas betrachtet.

Einen Perspektivwechsel wagten wenige. Warum hasst jemand Amerika so sehr? Diese Frage konvenierte nicht mit dem staatlichen Gemütszustand nach der Katastrophe. Es oblag Hip-Hop und Vertretern der Alternative Music, das zu tun. Freunde machte man sich damit nicht.

George W. Bush ist Far Away

Die Frauen-Band Sleater-Kinney zerlegte in Far Away die unrühmliche Rolle des damaligen US-Präsidenten George W. Bush, weil der schnell weit weg in Sicherheit gebracht worden war, anstatt vor Ort vielleicht einmal präsidial aufzutreten. Und Erykah Badu richtete ihren Mitbürgern in Mars & Roses aus, dass der Krieg, der bis dahin weit weg war, nun ihre Heimat erreicht hatte.

Pech bedeutete 9/11 für die Hip-Hopper The Coup. Ihr Album Party Music hätte im September 2001 erscheinen sollen. Da das Cover die beiden Rapper vor den explodierenden Twin Towers zeigte, zog es die Plattenfirma zurück und verschob die Veröffentlichung auf November 2001 – mit einem unverbindlichen neuen Cover. Dass das ursprüngliche lange vor dem Anschlag gestaltet worden war, wäre inmitten keimender 9/11-Verschwörungstheorien nicht zu vermitteln gewesen. Und die Unterstellung, antiamerikanisch zu sein, wurde nicht erst unter Donald Trump ein existenzgefährdendes Attribut. (Karl Fluch, 7.9.2021)