Eine der bekanntesten Antifa-Malereien Wiens befindet sich am Donaukanal.

Foto: Markus Sulzbacher

Es gibt vermutlich bessere Zeitpunkte, als inmitten der Ferienzeit an einem Nachmittag ein Büro der Österreichischen Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft (ÖH) an der Uni Wien zu besuchen. Aber ihr Anliegen war der Gruppe von Männern offensichtlich so wichtig, dass sie am 23. August in den Räumlichkeiten der Studierendenvertretung auftauchten. Sie wollten mit "der Antifa" sprechen, mit jemandem vom Antifa-Referat der ÖH, wie sie erklärten. Nachdem ihnen von Anwesenden gesagt wurde, dass gerade niemand da sei, zogen sie wieder ab. Zuvor erklärten sie noch den Grund ihres Erscheinens: Die Antifa habe rund um ein Wohnhaus im zweiten Wiener Gemeindebezirk Flugzettel verteilt, auf denen zu lesen war, dass der bekannte Neonazi Gottfried Küssel darin wohne. Diese Outing-Aktion war ein "Fehler", so einer der Männer, die als "trainiert und mit wenigen Haaren am Kopf" beschrieben werden.

Küssel gilt als Säulenheiliger der Neonazi-Szene, der seit den 1970er-Jahren aktiv ist und in dessen Windschatten sich unter anderen der spätere FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache sowie Identitären-Chef Martin Sellner tummelten. Seit über einem Jahr treten Küssel und sein Umfeld als "Corona-Querfront" regelmäßig bei Demonstrationen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie in Erscheinung. Zuletzt lud die Querfront am vergangenen Samstag zu einer Kundgebung nach Eisenstadt. Die burgenländische Hauptstadt ist seit Monaten ihr bevorzugter Ort für Demonstrationen – auch weil sonst keine andere Gruppe aktiv ist, die gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie auf die Straße geht.

Outing-Flugzettel verteilt

Als Verantwortliche der Outing-Flugzettel scheint darauf die "Antifa Wien West" auf – eine Gruppe, die auf Twitter zu finden ist. Zu den Aufgaben des Antifa-Referats der ÖH Uni Wien gehört das Organisieren von Vorträgen, Podiumsdiskussionen oder Demonstrationen, um "ein antifaschistisches Bewusstsein unter Studierenden zu etablieren beziehungsweise zu fördern", wie es in seiner Selbstbeschreibung heißt. Gegenüber dem STANDARD wird betont, dass das Referat nicht für die Aktion verantwortlich sei, man lasse sich von derartigen Besuchen aber nicht einschüchtern und werde weiterhin antifaschistische Projekte unterstützen. Einen Grund, sich zu distanzieren, gebe es nicht.

Das Flugblatt.

Seit einigen Jahren ist "die Antifa" eines der bevorzugten Feindbilder der extremen Rechten. "Die Antifa" wird als eine straff organisierte, zentral gesteuerte Organisation beschrieben, die entweder von staatlichen Stellen oder George Soros finanziert wird – Bilder, die auch vom ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump und Corona-Leugnern bemüht werden. Die Gruppe im Umfeld von Küssel spricht auch schon mal von "Antifa-Lesben".

Gottfried Küssel, als er im Februar dieses Jahres eine Corona-Demonstration kurzzeitig anführte.
Foto: Markus Sulzbacher

Die FPÖ pflegt das Feindbild "Antifa", da sich antifaschistische Initiativen oftmals gegen die Freiheitlichen und deren Verankerung im rechtsextremen Milieu richten. Zuletzt forderte etwa Anfang Juli der freiheitliche Generalsekretär Michael Schnedlitz das Verbot der Antifa, nachdem Aktivistinnen Räume des Boulevard-Medienhauses "Österreich" (oe24) gestürmt und dort eine Erklärung gegen die aus ihrer Sicht verharmlosende Berichterstattung über Frauenmorde verlesen hatten.

Es gibt viele Antifas

Die Antifa ist weder ein Verein noch eine Partei, die verboten werden könnte. Unter Antifa ist die Summe von Bewegungen, Gruppierungen und Einzelpersonen zu verstehen, die sich gegen jede Form von Faschismus werden.

Der Besuch der ÖH-Räumlichkeiten passt auch zu einer anderen Strategie der Neonazis, die im Umfeld von Küssel zu finden sind. Sie setzen seit einigen Monaten verstärkt auf Aktivismus, damit wollen sie für junge Rechtsextreme attraktiver werden und den konkurrierenden Identitären den Wind aus den Segeln nehmen. Sie wollen den Ton in der Szene angeben. Dafür treten sie bei Corona-Demonstrationen und in verschiedenen Telegram-Channels in Erscheinung, führen nächtliche Spray-Aktionen durch und hängen Transparente an öffentlichen Gebäuden auf.

Vor wenigen Tagen kletterten sie auf ein Baugerüst bei der Wiener Votivkirche und hinterließen ein Transparent mit der Aufschrift "Boer Lives Matter. Stop Farm Murders". Dabei filmten sie sich und veröffentlichten das Video auf ihren Telegram-Kanälen. Zuvor besuchten sie das Afrikadorf in Wien und filmten sich dort dabei, wie sie ein ähnliches Transparent entrollten. Bei derartigen Aktionen treten sie als "Gruppe für Sport und Technik" auf, in deren Reihen auch Kampfsportler zu finden sind. Kampfsport hat in der Szene die sogenannten Wehrsportübungen abgelöst. So wird sich nun auf den "Endkampf der Kulturen", für den "Tag X", vorbereitet.

Welle der Gewalt

Mit ihrer Transparentaktion versuchen die Neonazis Unruhen in Südafrika für ihre Propaganda zu nutzen. Im vergangenen Juli kam es zur schlimmsten Welle der Gewalt, die Südafrika seit dem Ende der Apartheid vor knapp dreißig Jahren erlebt hat, mehr als 330 Menschen sind dabei ums Leben gekommen. Die Gewalt brach aus, nachdem der ehemalige langjährige Präsident Jacob Zuma eine Haftstrafe wegen Missachtung der Justiz antreten musste. Während viele in Südafrika die Inhaftierung des korrupten Ex-Staatschefs als Erfolg für die Rechtsstaatlichkeit des Landes feierten, gingen Unterstützer Zumas aus Protest auf die Straße, es kam zu Plünderungen und Verwüstungen von Gebäuden. Im Zuge der Proteste entluden sich auch soziale Spannungen. Das Leben vieler Menschen ist durch Armut geprägt, die Arbeitslosigkeit liegt bei über 32 Prozent, und es gibt noch immer viele, die ohne Strom auskommen müssen, da sie sich ihn nicht leisten können.

Für die Rechtsextremen spielt das keine Rolle, die setzen auf eine rassistische Angstmacherei. Die "Schwarzen" würden nun die "weißen Buren" töten, lautet ihre Erzählung, die schon verbreitet wurde, als das rassistische Apartheid-Regime noch fest im Sattel saß. Gleichzeitig machen sie so gegen die Black-Lives-Matter-Bewegung Front, und ihr Aktionismus passt zur "White Boy Summer"-Kampagne der extremen Rechten.

Kontakte nach Südafrika

Österreichische Neonazis verfügen seit Jahrzehnten über Kontakte nach Südafrika. Das Land war etwa das Fluchtziel eines Mannes, der in Österreich wegen der Schändung von 88 Gräbern des jüdischen Friedhofs von Eisenstadt gesucht wurde. Nach einigen Jahren im Exil tauchte er wieder in Wien auf, um seine Strafe zu verbüßen. Jahre später wurde er gemeinsam mit Küssel wegen Beteiligung an der Neonazi- Homepage "Alpen-Donau.Info" verurteilt – gemeinsam mit einem Mann, dessen Foto ebenfalls auf dem Flugblatt der "Antifa Wien West" zu finden ist. (Markus Sulzbacher, 7.9. 2021)