Zwischen Quitscheente und Donnergurgler: Jerskin Fendrix

Foto: Luke Nugent

Die großen Namen der Pop-Avantgarde im weiteren Sinne mögen heuer zwar im Musikprogramm fehlen. Die im Vorjahr pandemiebedingt abgesagten Postpunk-Altväter Wire fehlen ebenso wie die inzwischen (wieder einmal) aufgelösten Swans. Das hat wohl auch mit der noch immer aktuellen unsicheren Buchungslage zu tun. Trotzdem ist es dem Donaufestival heuer gelungen, etliche spannende Acts zu buchen.

Zu verzeichnen wäre vor allem einmal ein kleiner, auf die menschliche Stimme gelegter Schwerpunkt. Der baut darauf, ein möglichst weites Feld abzudecken. Da wäre zuallererst der britische Sänger Jerskin Fendrix zu nennen. Der wandelt mit seinem Programm Winterreise nicht unbedingt auf den Spuren der Schubert’schen Kunstlieder, sondern weiß zwischen zerschossenem Eighties-Pop sowie mit Autotune beschworener Quietscheenten- und Donnergurglerstimme souverän diverse Extreme zu bedienen (3. 10.).

Jerskin Fendrix

Düstere Paranoia

Dazu passend wären etwa die artverwandte britische Künstlerin Elvin Brandhi (1. 10.) oder die nonbinäre Künstlerin Lyra Parmuk (10. 10.) hervorzuheben. Aber auch der britische Dubstep-Veteran Ghostpoet (10. 10.) wird diesem Segment während der ersten zwei Oktoberwochenenden mit rauchverhangener, düsterer Paranoia interessante Aspekte abzugewinnen wissen (10. 10.).

Mit der indigenen kanadischen Transkünstlerin Kìzis und den rekordverdächtigen 36 Songs ihres heuer erschienenen, gleich einmal auf dreieinhalb Stunden angelegten Debüts Tidibàbide gelangen schließlich auch gemeinsam mit einem österreichischen Streichquartett umgesetzte weltumarmende Popsongs, Balladen und Spoken-Word-Beiträge zur Aufführung, die niemanden im Publikum ungerührt zurücklassen sollten (10. 10.).

The Saturn Archives

Ebenso hip und gehypt konnte man die britische Band Black Country, Black Road verpflichten. Sänger Isaac Wood sprechsingt seine assoziativen Texte über frei flottierendem Indie-Rock. Der Improvisation wird viel Raum gegeben. Das kann leicht einmal schiefgehen, muss es aber nicht (9. 10.).

Dröhnland-Metal in Zeitlupe

Der 74-jährige Franzose Jac Berrocal ist schon länger im Geschäft. Von den 1960er-Jahren herauf steht der Freistiltrompeter und Soundpoet für eine dunkle, abenteuerlustige Musik zwischen primitiver Repetition im Zeichen des Rock ’n’ Roll und Noir-Soundtracks. Mit seinem Trio spielte er 2015 etwa das fantastische Album Antigravity ein. Dieses setzt dort an, wo David Byrne und Brian Eno einst mit My Life in the Bush of Ghosts aufhörten (2. 10.).

Donaufestival-Stammgast Stephen O’Malley, der sonst mit Sunn O))) in Mönchskutte hosenbeinschlackernden Dröhnland-Metal in Zeitlupe praktiziert, gastiert dieses Mal, möglicherweise etwas ruhiger und kunstsinniger gestimmt, mit Organistin Kali Malone und Cellistin Lucy Railton in Krems (1. 10.). Der deutsche Elektronikveteran Robert Henke, dem die Welt die Entwicklung des für das Genre obligaten Ableton-Live-Programms verdankt, wird im Programm CBM 8032 AV Computertechnik aus der Gründerzeit während der 1980er-Jahre auffahren (8. 10.).

Atemberaubend

Künstler wie der aus Angola stammende Rapper Nazar oder das Duo Duma aus Kenia zeigen am Eröffnungsabend, dass afrikanische Musiken mit Hip-Hop, krudem Techno und brutalem Metal atemberaubende Verbindungen eingehen können (beide am 1. 10.).

Nazar - Topic

(Christian Schachinger, 4.9.2021)