In Wirklichkeit", schmunzelt Adriana Traunmüller, "sind Bienen ja faul." Zumindest dann, wenn man unter "emsig", "eifrig" und "fleißig" die Bestrebung, immer ein bisserl mehr zu liefern, als gefordert wird, versteht: Die "Extrameile", weiß Adriana Traunmüller, geht – also: fliegt – nämlich keine Biene.

Nicht, wenn es nicht sein muss: "Weiter als drei Kilometer fliegen Bienen nie. Sie arbeiten so ökonomisch wie möglich." Genau das, verrät die Imkerin aus dem fünften Wiener Gemeindebezirk, sei das Geheimnis "ihres" Honigs. Dabei zeigt Traunmüller auf eine Batterie kleiner Honiggläser. 24 sind es. Keines gleicht dem anderen: Von hell und klar bis dunkel und "blickdicht" reicht das Spektrum – und beim Kosten erkennen auch Laien echte Unterschiede. Ja eh, das kennt und weiß man auch vom Honig aus dem Supermarktregal. Aber 24 unterschiedliche Geschmacksrichtungen? Alle aus derselben Region? Und wieso eigentlich 24?

Ein Hauch von Meidling

Die Zahl ist kein Zufall. Wien hat 23 Bezirke – und Adriana Traunmüller steht in der Wiener Bezirksimkerei. Dort wird nicht einfach Honig produziert, sondern Bezirkshonig: Jeder Wiener Gemeindebezirk hat seinen eigenen – und jeder Bezirk schmeckt tatsächlich etwas anders. Während der sogenannte "Airporter" (womit das Geheimnis der 24. Bezirkssorte keines mehr wäre) dunkel und kräftig ist und das Aroma vieler Wiesenblumen verströmt, ist der "Margaretner" leicht und blumig-süß. Und aus dem Josefstädter Honig lässt sich bei geschultem Gaumen sogar eine feine Holundernote herausschmecken.

Marian Aschenbrenners "Biezen" genanntes Bienenzentrum Wien liegt zwar in Gänserndorf, doch die Hälfte seiner 250 Völker lebt und arbeitet in Wien.
Foto: Bienenzentrum Wien

"Schuld" daran ist das Streben der Biene nach Effizienz. Nach kurzen Wegen bei maximalem Ertrag, der durch strukturiertes und gemeinschaftliches Arbeiten erwirtschaftet wird. Während Imker auf dem Land ihre Stöcke oft gezielt dorthin setzen, wo bestimmte Pflanzen gerade blühen, wo Bestäuben und Befruchten gerade angesagt sind, machen es Stadtimker genau umgekehrt: Linden? Kastanien? Wiesen- oder Balkonpflanzen?

Was wo wächst, ist von Stadtteil zu Stadtteil unterschiedlich – aber in der Substanz regional konstant. Diese Regionalität definiert Farbe und Geschmack des Honigs und ist die Geschichte hinter einem erfolgreichen Geschäftsmodell, das 2013 als etwas krude Idee begann. Mittlerweile wurde daraus aber ein Unternehmen: 50.000 Bienen arbeiten in jedem der 180 über die ganze Stadt verteilten Stöcke, die neben dem Firmengründer auch drei menschliche Mitarbeiterinnen auf Trab halten – und in guten Jahren etwa 3,5 Tonnen Honig liefern.

Honigliches Klima

Heuer – die Saison ist vorbei – war kein gutes Jahr. Ganz im Gegenteil. Der späte Frühling aber vor allem die massiven Temperaturschwankungen haben den Ertrag um fast zwei Drittel niedriger ausfallen lassen als sonst. Nein, sagt Matthias Kopetzky, das seien nicht einfach Wetterkapriolen. "Das sind Neben- und Begleiterscheinungen des Klimawandels."

Klimafragen bekommt der Gründer der Wiener Bezirksimkerei aber eher selten gestellt, wenn er von seinem "Lagenhonig" spricht. Viel öfter geht es da um falsche Vorstellungen über Ballungsraumbienen und Stadthonig. Die hatte der hauptberufliche Wirtschaftsforensiker selbst auch, als bevor seine ersten Stöcke ("Die lagen ungenutzt bei einem Bekannten herum, und ich dachte, dass es einfach schade drum wäre.") aufstellte – und beim ersten Verkosten von Meidlinger (seinem) und Donaustädter Honig (dem seiner Schwägerin) "Unterschiede wie Tag un Nacht" erschmeckte. Das brachte ihn auf die Idee, "urbanen Lagenhonig" herzustellen. Aus jedem Bezirk einen.

Die Biene als Filter

Dass Stadthonig nach Biokriterien oft "sauberer" ist als Landhonig, hatte er da schon verstanden: In Wohngebieten werden weder Pestizide noch Fungizide noch andere Chemikalien ausgebracht. Auch die Angst vor Schadstoffen von Verkehr, Heizung oder Industrie im Honig ist unbegründet. Schließlich funktioniert die Biene selbst als "Filter": Bis Pollen in der Wabe landet, hatten ihn bis zu 25 Tiere in Mund und Magen. Was nicht sauber genug ist, wird ausgesondert – oder tötet die Biene. Mitunter ein halbes Volk lang, bevor Menschen zu Schaden kommen könnten. Das passiert in der Stadt aber fast nie: "In den seltenen Fällen, in denen die Stadtgärtner spritzen müssen – etwa wegen der Miniermotte -, warnen sie rechtzeitig. Dann machen wir die betreffenden Stöcke zu."

"Der Josefstädter Honig hat eine leichte Holundernote, der aus Margareten schmeckt blumig-süß."
Imkerin Adriana Traunmüller
Foto: Bienenzentrum Wien

Oder die Stöcke übersiedeln. Längst gibt es dafür mehr als genug Orte. Auch weil der "Bienenstock auf dem Dach" ein hippes Öko-Asset ist: Auf dem Dach des Erste Campus beim Hauptbahnhof leben und arbeiten Bienen ebenso wie auf so manchem Cityhotel. Energieprovider, Officeturmbetreiber und Immodeveloper fragen ebenso an wie Tankstellenpächter. Mitunter verweigern die Imker: "Den meisten ist es ein Anliegen, aber bei manchen sind die ‚Greenwash‘-Ambitionen zu offensichtlich", sagt Adriana Traunmüller.

Bioprodukt aus der City

Verwunderlich ist das nicht: Bienen sind Sympathieträger. Seit jeher. Doch spätestens seit dem Bienensterben von 2010 steht Bienenliebe für Umwelt- und Artenschutzbewusstsein. Sie ist ein Bekenntnis zu Achtsamkeit und Biodiversität und wird auch als Beleg für ein Verstehen von Regionalität und Saisonalität verstanden. Darüber hinaus, meint Marian Aschenbrenner, erfülle Stadthonig eine Sehnsucht: "Welche landwirtschaftlichen Bioprodukte kann man sonst in der Stadt produzieren?"

Aschenbrenner ist ebenfalls Imker. Sein "Biezen" genanntes Bienenzentrum Wien liegt zwar in Gänserndorf, doch die Hälfte seiner 250 Völker lebt und arbeitet in Wien. Aschenbrenner bildet auch aus. Derzeit belegen rund 80 Neoimkerinnen oder -imker Kurse bei ihm, fast alle kommen aus der Stadt. Doch nicht nur Aschenbrenner bildet aus: Der Wiener Landesverband für Bienenzucht etwa betreibt im Donaupark eine eigene Imkerschule. Mit acht Vereinen und 700 Imkerinnen und Imkern, heißt es auf der Verbandsseite, sei man "einer der kleinsten Imkerverbände Österreichs".

Angesichts des enormen Interesses an Führungen für Schulen und Firmen sowie der Nachfrage nach Imkerkursen spricht Aschenbrenner von einem "echten urbanen Trend". Einem Trend, den er aber "auch kritisch sieht: Irgendwann kommt der Moment, in dem die Stadt voll ist. Dann machen die Bienen einander gegenseitig das Futter streitig".

Ein Anfang

Wann dieser Punkt erreicht sein könnte, weiß niemand. Doch bis dahin setzen Bienenlobbyisten wie Aschenbrenner auf den "Kollateralnutzen", den das Interesse an Bezirkshonig, Stadtbienen und Bienenstöcken auf dem Firmendach generiert: "Man muss eines klar sagen: Die Bienen auf dem Dach sind kein Beitrag zum Umweltschutz. Honigbienen sind nicht gefährdet – ganz im Gegensatz zu Wildbienen. Aber mit der Geschichte von Stadtbiene und Stadthonig erreicht man Menschen, die sich für Artenschutz und Biodiversität bisher kaum interessiert haben: Das ist ein Anfang." (Thomas Rottenberg, 8.9.2021)