Demonstrantinnen in Kabul.

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Protest vor der pakistanischen Botschaft.

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Kabul/Islamabad – In der afghanischen Hauptstadt Kabul haben Hunderte Menschen gegen Pakistan und die militant-islamistischen Taliban demonstriert. Männer wie Frauen zogen am Dienstag durch die Innenstadt und riefen gegen das Nachbarland gerichtete Sprechchöre und äußerten indirekte Kritik an den Islamisten. Lokale Medien berichteten von kurzzeitigen Verhaftungen ihrer Mitarbeiter durch Sicherheitskräfte der Taliban.

Die Demonstranten hielten Schilder, auf denen "Pakistan – Pakistan – raus aus Afghanistan" oder "Freiheit" stand, wie auf Fernsehbildern zu sehen war. Einem BBC-Reporter zufolge behaupteten die Demonstranten, Pakistan habe den Taliban bei ihrer Eroberung der Provinz Panjshir geholfen, die am Montag nach tagelangen Gefechten an die Islamisten gefallen war. Viele erwähnten zudem den Besuch des Chefs des pakistanischen Geheimdienstes ISI, Faeez Hamid, der sich Sonntag und Montag mit der Taliban-Führung in Kabul traf.

Vor der Universität Kaul schlugen Taliban-Vertreter demonstrierende Frauen mit Stöcken, wie in sozialen Medien veröffentlichte Videos zeigen.

Viele Afghanen, auch bisherige Regierungsvertreter, äußern die Überzeugung, dass Pakistan die Taliban unterstützt und ihnen bei ihrer jüngsten Militärkampagne geholfen habe, mit der sie das Land gewaltsam übernommen haben. Islamabad bestreitet dies.

In einem auf Twitter geteilten Video des Protests sagt ein Mann: "Das ist Kabul, Männer und Frauen sind auf den Straßen und skandieren gegen Pakistan und gegen die Taliban". Erneut sind "Freiheit"-Rufe zu hören. Diese sind wohl ein Hinweis auf die Unterstützung für Ahmad Massud, der die bewaffnete Nationale Widerstandsfront in Panjshir anführte und sich seit der gewaltsamen Übernahme der Provinz durch die Taliban versteckt hält. Er hatte am Montag in einer Audiobotschaft alle Afghanen zu einem nationalen Aufstand aufgerufen und kurz darauf nur das Wort "Freiheit" getwittert.

Mehrere lokale TV-Sender und Medien erklärten, ihre Mitarbeiter seien von Taliban über mehrere Stunden festgenommen worden. ToloNews erklärte, ein Kameramann sei nach fast drei Stunden freigelassen und ihm seine Kamera samt Aufnahmen des Protests zurückgegeben worden.

Ein ausländischer Journalist twitterte ein Video, auf dem Taliban in die Luft schießen, um Demonstranten zu vertreiben. In dem Kommentar zu dem Video schreibt er, dass die Islamisten auch Protestierende geschlagen hätten. In einem in sozialen Netzwerken geteilten Video ist zu sehen, wie ein Taliban-Kämpfer mehrere Frauen schlägt. Die Videos und Angaben können nicht unabhängig überprüft werden.

In Herat wurden bei Protesten nach Angaben eines Arztes zwei Menschen erschossen und acht weitere verletzt. "Sie haben alle Schusswunden", berichtete der Arzt, der anonym bleiben wollte, der Nachrichtenagentur AFP. Nach Angaben des Afghanischen Verbands unabhängiger Journalisten (AIJA) wurden 14 afghanische und ausländische Journalisten, die über die Demonstrationen berichteten, von den Taliban vorübergehend festgenommen. Mehrere Journalisten berichteten zudem, sie seien geschlagen oder ihre Ausrüstung sei beschlagnahmt worden.

Taliban wollen keine Berichte über Demos

Taliban-Sprecher Mujahid bezeichnete die Proteste als "illegal, solange die Regierungsbüros noch nicht geöffnet und die Gesetze noch nicht verkündet wurden". Er forderte die Medien auf, nicht über die Demonstrationen zu berichten.

Auch aus der Stadt Masar-i-Sharif im Norden und Ferus Koh in Zentralafghanistan gab es Berichte über Proteste.

Seit der Machtübernahme der Islamisten hatte es bereits mehrere Demonstrationen in Afghanistan gegeben. Der Protest in Kabul am Dienstag war der bisher größte und bedeutendste.

Geberkonferenz

Vor einer für Montag geplanten humanitären Geberkonferenz für Afghanistan hat das Nothilfebüro (OCHA) der Vereinten Nationen einen Bedarf von 606 Millionen Dollar für das Land bis Ende des Jahres gemeldet. "Die Grundversorgung in Afghanistan bricht zusammen. Die Nahrungsmittelhilfe und andere lebensrettende Hilfsgüter gehen zur Neige", sagte OCHA-Sprecher Jens Laerke am Dienstag in Genf. Mit dem Geld wollen Hilfsorganisationen fast elf Millionen Menschen vor Hunger bewahren und ihr Überleben sichern.

US-Außenminister Antony Blinken sagte am Dienstag bei einem Besuch im Golf-Emirat Katar, die USA seien in Kontakt mit den Taliban, um weitere Menschen aus dem Land zu evakuieren. Ziel sei es, dass weitere Charter-Flüge das Land sicher verlassen könnten. Die Taliban hätten zugesagt, all diejenigen aus Afghanistan ausreisen zu lassen, die Reisedokumente besäßen. Blinken lobte zudem die Rolle Katars bei den Evakuierungen der vergangenen Wochen. Kein Land habe mehr getan als Katar. Blinken reist weiter nach Deutschland, wo er den US-Militärstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz besuchen will und am Mittwoch Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) treffen soll.

Einige der vom US-Militär ausgeflogenen Afghanen wollen als Flüchtlinge in Deutschland bleiben. Von den Tausenden Menschen, die zuvor auf dem US-Militärstützpunkt Ramstein untergebracht waren, hätten bisher rund 90 Menschen einen Asylantrag gestellt, teilte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Dienstag mit. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums kamen bis Montagvormittag insgesamt 34.103 Menschen aus Afghanistan in Ramstein an. Von diesen Evakuierten seien bis zu diesem Zeitpunkt 20.943 Menschen in die USA ausgeflogen worden.

Milliarden für Versorgung evakuierter Afghanen benötigt

Unterdessen forderte die US-Regierung den Kongress zur Bewilligung von 6,4 Milliarden Dollar (5,3 Milliarden Euro) für die Versorgung und die Integration evakuierter Afghanen auf. Es gehe darum, ihnen zu helfen, in den USA "neue und erfolgreiche Leben aufzubauen", sagte ein leitender Mitarbeiter des Haushaltsamtes (OMB) am Dienstag. Die Mittel sollten über einen Nachtragshaushalt für das Außen- und das Verteidigungsministerium bereitgestellt werden.

Die Gelder sollen demnach auch für humanitäre Hilfe für Afghanen sowie für die Versorgung von Flüchtlingen auf US-Militärstützpunkten im Ausland, etwa im deutschen Ramstein, genutzt werden. Ob und in welchem Umfang der Kongress dem Antrag der Regierung zustimmen wird, ist noch offen. Präsident Joe Bidens Demokraten kontrollieren das Repräsentantenhaus, im Senat dürften sie jedoch auch auf die Zustimmung einiger Republikaner angewiesen sein. Die Unterstützung für evakuierte Afghanen erfreut sich in den USA aber allgemein gesprochen breiter Unterstützung beider Parteien. (red, APA, 7.9.2021)