In der großen Debatte über die Zukunft des Verkehrs im Zeitalter der Klimakrise steht die Seestadt Aspern derzeit im Brennpunkt. Einerseits werden hier einige der innovativsten Mobilitätskonzepte des Landes ausprobiert. Andererseits argumentieren Befürworter von zwei der umstrittensten Straßenbauprojekte in Wien – der Stadtstraße und des Lobautunnels –, dass das riesige Stadterweiterungsprojekt in der Donaustadt ohne diese Verkehrsadern nicht mehr wachsen könne. Denn ganz auf das eigene Auto verzichten wollen viele Bewohner nun doch nicht.

Illustrian: Oliver Schopf

Die Seestadt war daher der passende Ort für das 70. STANDARD-Wohnsymposium vergangene Woche, das sich unter dem Titel "individuell oder öffentlich" der Mobilität von morgen im Spannungsfeld von strengen Klimazielen und den Bedürfnissen der Bewohner widmete. Im Mittelpunkt der vom Fachmagazin "Wohnen plus" mitorganisierten Veranstaltung standen die Fragen, wie Wohnbau und Stadtplanung das Mobilitätsverhalten der Menschen beeinflussen können sowie welche neuen Konzepte und Technologien für intelligente Mobilität in Wohnquartieren nötig sind, um Emissionen zu reduzieren. Diskutiert wurde im Hoho, dem Holzhochhaus in der Seestadt Aspern.

Mobilität im Wandel

"Wir sprechen heute anders über Mobilität als vor 20 Jahren", sagt Harald Frey, Verkehrswissenschafter an der TU Wien. Das liege, neben äußeren Einflüssen wie der Urbanisierung und dem Bevölkerungswachstum, neuen Organisationsprinzipien des Zusammenlebens sowie der Digitalisierung, auch am Wettbewerb mit anderen Städten.

Die Tatsache, dass jährlich ein Ranking erstellt wird, das die lebenswertesten Städte der Welt kürt, weckt den Ehrgeiz, vorn mitzumischen. Internationale Best-Practice-Beispiele bieten Vergleichswerte. Ein weiterer Treiber für neue Mobilitätskonzepte sind die Auswirkungen des Klimawandels. Dieser sei in Städten ungleich stärker zu spüren als auf dem Land. "Folgewirkungen treten auch in ländlichen Gebieten auf, die Vulnerabilität in den Städten ist aber deutlich höher", sagte Frey. Das können allen voran die Städterinnen und Städter bestätigen: Schier unerträgliche Hitzetage treiben auch Homeoffice-Liebhaber in gekühlte Büros. Gleichzeitig sorgt lang erwarteter Regen nicht mehr für Erholung, sondern beunruhigt vielmehr, wenn das Wasser dermaßen heftig aus den Wolken prasselt, dass die Kanalisation rasch überfordert ist und die Straßen überschwemmt sind. Frey ist überzeugt: "Diese Dinge verändern die Sichtweise auf Wohnen und Mobilität."

Die 15-Minuten-Stadt

Doch wie sehen moderne, klimafreundliche Mobilitätskonzepte aus? Europaweit und auch beim Wohnsymposium intensiv diskutierte Lösungsansätze sind "Superblocks" und die "15-Minuten-Stadt". Erstere lenken Straßenverkehr um Wohnsiedlungen herum und vermeiden so eine unmittelbare Belastung für Bewohnerinnen und Bewohner. Vorreiter ist Barcelona, wo bereits zwei Superblocks umgesetzt sind. Auch in Wien zeigt eine autofreie Siedlung in Floridsdorf seit Beginn der 2000er-Jahre, wie das tägliche Leben ohne Pkw funktionieren kann.

Ein Beispiel für eine 15-Minuten-Stadt ist Paris. Die Idee: Stationen des täglichen Lebens wie Wohnung, Lebensmittelgeschäft, Büro, Fitnesscenter, Schule, Park und auch Freunde in wenigen Minuten zu erreichen. Grätzelcharakter ist ausschlaggebend, denn diese Zeitspanne schließt das eigene Auto aus.

Stattdessen ist es ein Konzept der langsamen Geschwindigkeiten. Ziele sollen zu Fuß, mittels Radwegen, mit Scooter oder Skateboard erreicht werden. Die Mobilitätsforscherin Katja Schechtner sagt: "Das funktioniert in Paris nur, weil es eine raumplanerische Grundlage gibt."

Die Smart-City-Wien-Rahmenstrategie setzt auch für Wien bis 2030 das Ziel, 85 Prozent der Wienerinnen und Wiener im Umweltverbund zu transportieren, sprich Öffis, Rad, zu Fuß. 2018 lag dieser Wert bei 72 Prozent. Experten sind sich einig, dass das nur gelingen kann, wenn die Infrastruktur dafür bereitsteht.

Um die Zukunft des Straßenbaus in Wien ging es am Ende des Symposiums in einer heißen politischen Debatte, in der ein SPÖ-Gemeinderatsabgeordneter und die Chefin der Grünen Wirtschaft aufeinander trafen. (Julia Beirer, 8.9.2021)