Eine der seltenen Begegnungen im Grenzland: Hirten auf dem Weg zu ihren Herden zwischen dem Kosovo und Montenegro.

Foto: Thomas Neuhold

"Der sanfte Tourismus, der Wandertourismus, das ist eine große Chance für diese Region", sagt Semir Kardovic. Der Alpinist aus Montenegro führt als Tourguide regelmäßig Wandergruppen durch die abgelegenen Grenzregionen zwischen Kosovo, Albanien und Montenegro. In näherer Zukunft soll sich hier auch eine Art Skitouren-Tourismus entwickeln, erzählt Kardovic. Dann gebe es einen quasi Ganzjahrestourismus.

Technisch mittelschwer – keine Bergrettung

Für entspanntes Wandern und Weitwandern über einsame Almen und Pässe sind die Berge des Prokletije-Gebirges jedenfalls ideal – auch wenn die Gebirgskette den Beinamen "verwunschene Berge" trägt. Die technischen Anforderungen auf den markierten Routen sind meist überschaubar, Charakter und Seehöhe der Bergwelt entsprechen– grob gesprochen – in etwa jenem der Niederen Tauern. Entsprechend ist auch die Ausrüstung zu wählen. Wer eine Wanderreise über eine Agentur bucht, darf sich dann über einen leichten Tagesrucksack freuen. Fast alle Agenturen haben einen Gepäcktransport von Unterkunft zu Unterkunft mit im Angebot.

Technisch nicht allzu schweres Wandergelände – großartige Kulisse: das Prokletije-Gebirge.
Foto: Thomas Neuhold

Was die Gefahren angeht, ist man im Südwesten des Balkans gut beraten, die Risikobereitschaft ganz weit herunterzuschrauben. Es gibt keine Bergrettung, es gibt auch keine Flugrettung, man ist im Fall des Falles auf sich selbst und die Hilfe der Einheimischen angewiesen.

Schlangen, Bären, Wölfe, Hirtenhunde

Besonders gefährlich ist die Region aber nicht. Sie ist zwar gewitteranfällig, die Prognosegenauigkeit ist aber schon ganz gut. Es gibt Giftschlangen, etwas Vorsicht ist geboten. Mit den Bären und Wölfen, die hier leben, hat man im Regelfall wohl keinen Kontakt. Professionelle Guides wie Semir Kardovic haben dennoch für alle Fälle eine große Dose Pfefferspray im Rucksack.

Tourguide Semir Kardovic wird von einem Hirtenhund begleitet.
Foto: Thomas Neuhold

Wesentlich unangenehmer können da schon die Hirtenhunde werden. Fern der Herde mögen sie zutraulich sein, kommt man ihrer Herde aber zu nahe, werden die im Volksmund auch "Bärentöter" genannten Hunde mit dem massigen Kopf fallweise echt aggressiv.

Ein klein wenig Komfortverzicht

Auch die touristische Infrastruktur nimmt langsam Gestalt an. In vielen der kleinen Bergdörfer findet man überall familiengeführte Guesthouses für die Bergsteiger und Bergsteigerinnen. Und laufend entstehen neue Unterkünfte. Wer auf Einzelzimmer, eigener Dusche und WC besteht, sollte sich eine andere Destination überlegen. Ein klein wenig Komfortverzicht muss schon drinnen sein, etwaige Unannehmlichkeiten machen die Gastgeber aber schnell mit ihrer überwältigenden Gastfreundschaft und einem Glas Raki wieder wett.

Guesthouse "Hotel Alpini" im albanischen Lepushe.
Foto: Thomas Neuhold

Was besonders auffällt: Die Hauptrouten sind ausgezeichnet markiert, die Wege werden gepflegt und die Zeit- und Entfernungsangaben auf den gelben Wegweisern sind akkurat. An wichtigen Punkten sind auch die GPS-Daten vermerkt.

"Peaks of the Balkans"

Herzstück des Bergtourismus ist das Projekt "Peaks of the Balkans". Der 192 Kilometer lange transnationale Trail führt in zehn Tagesetappen über rund 10.000 Höhenmeter durch Albanien, den Kosovo und Montenegro und ist die am häufigsten begangene Weitwanderroute der Region. Ruhetage, Varianten oder Abstecher auf umliegende Gipfel sind relativ einfach einplanbar. Der 2011 offiziell seiner Bestimmung übergebene Weitwanderweg wurde 2013 vom Tourismus-Weltverband WTTC mit dem Award "Tourism of Tomorrow" ausgezeichnet.

Gut gewartete Wanderwege – akkurate Daten auf den gelben Wegweisern.
Foto: Thomas Neuhold

Dass "Peaks of the Balkans" mit der Grenze nach Albanien eine über Jahrzehnte beinahe unüberwindliche Grenze überschreitet, wird dem Wanderer und der Wanderin spätestens dann bewusst, wenn man an den Überresten der albanischen und der jugoslawischen Militär- und Bunkeranlagen vorbeigeht. Neben dem touristischen Zusammenschluss lange Zeit getrennter Regionen steht bei "Peaks of the Balkans" auch das Thema Ökologie im Vordergrund. Viele Unterkünfte und Gaststätten entlang der Routen verwenden explizit nur regionale Produkte – das Konzept ist stimmig, denn so oft bekommt man im heimatlichen Österreich beim Abendessen auch nicht Brennnesselspinat serviert. (Thomas Neuhold, 14.9.2021)