Der Salzburger Kulturwissenschafter Christoph Landerer hat in einem STANDARD-Gastkommentar die "Anti-Kurzianer" gerügt, dass sie ihm auf sachpolitischer Ebene nichts entgegenzusetzen hätten, obwohl er doch politisch "eher Hülle als Kern" darstelle.

Daran ist richtig, dass sich an Sebastian Kurz viele abarbeiten, zum Beispiel auch auf Twitter, die einfach Ressentiments loswerden wollen. Aber man kann nicht sagen, dass es an fundierter Auseinandersetzung fehlt – zum einen mit dem eher soft-autoritären Stil, wie den längerfristigen ebenso soft-autoritären Absichten; zum anderen mit seiner Sachpolitik, vor allem in der Pandemiebekämpfung.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zu Gast beim ORF-Sommergespräch.
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Interessant ist dabei, dass sich nun allmählich auch Medien und Journalisten kritisch äußern, die Kurz und der türkisen Bewegung ursprünglich eher positiv gegenüberstanden, durchaus im Sinne der Anerkennung seines politischen Talents oder aber auch, weil sie eine konservativere Ausrichtung Österreichs befürworten.

Das ändert sich gerade angesichts der wenig überzeugenden Performance der Regierung Kurz in Sachen "vierte Welle". Klaus Pándi in der Krone schreibt: "So wie sich die Lage entwickelt, kann die Regierung die notwendigen Maßnahmen gegen die rasante Verbreitung des Virus nicht länger verschleppen. Der Kanzler scheut bekanntlich unpopuläre Entscheidungen (…). Die Bevölkerung den Sommer über in falscher Sicherheit zu wiegen könnte sich als bisher folgenschwerster Fehler der türkis-grünen Regierung erweisen."

Vertrauenskrise

Die Krone hat natürlich in Michael Jeannée einen absoluten Kurz-Adoranten, aber sie gibt sehr breiten Raum dem renommierten Politikwissenschafter Peter Filzmaier, der kühl konstatiert: "Die Vertrauenskrise liegt nicht an der Pandemie als solcher, sondern ist auch hausgemacht. Weil Bundeskanzler Sebastian Kurz mit seinen Ankündigungen allzu oft danebenlag."

In der konservativen Presse wird der "Fünf-Punkte-Plan", den Kurz im ORF-Sommergespräch vorlegte, so charakterisiert: "Wobei ‚Plan‘ nicht ganz das richtige Wort ist. Es sind bis jetzt vor allem Überschriften." In einem anderen Presse-Kommentar werden den bisherigen 16 Monaten Pandemiebekämpfung attestiert, sie wären "zu einem guten Teil als Kanzlershow angelegt. Was gemacht oder nicht gemacht wurde, hing nicht nur von sachlichen Erwägungen ab, sondern auch davon, wie Sebastian Kurz seine Rolle am wirkungsvollsten anlegen konnte." Der Kurier kritisiert Kurz nicht in Kommentaren, gibt aber immerhin den Experten prominenten Raum, die immer verzweifelter wirkliche Maßnahmen für den Herbst fordern, wie etwa dem Intensivmediziner Walter Hasibeder ("Alles andere als 2G ist nicht sicher").

In Deutschland wiederum, wo Kurz eine Zeitlang als konservativer Messias betrachtet wurde, ist man kritischer geworden. Seine harte Ablehnung, gefährdete Afghaninnen aufzunehmen, wurde sogar in Bild kritisiert. Egal, ob man jetzt als Journalist eher konservativ oder eher liberal eingestellt ist ("links" sind hierzulande im Gegensatz zu einem reaktionären Spin nur die allerwenigsten Journalisten), es gibt so etwas wie Professionalismus. Und der kann die Defizite der Regierung Kurz bei der Corona-Politik nicht übersehen. (Hans Rauscher, 7.9.2021)