Die Volkslegende von der heiligen Kümmernis, einer Märtyrerin mit Bart, wird feministisch umgedeutet.

Foto: Wienwoche / Mani Froh

Die Wienwoche fühlt sich anders an als viele der institutionalisierten Festivals des Kulturherbstes. Zwar existiert das Festival, das der Verein zur Förderung der Stadtbenutzung jährlich abwickelt, schon seit 2012, so richtig etabliert scheint es aber auch im Jubiläumsjahr noch nicht zu sein.

Das hat mehrere Gründe: Erstens wechselt die Leitung der Wienwoche alle paar Jahre – dieses Jahr sind Henrie Dennis, die Gründerin und Vorsitzende von Afro Rainbow Austria, und die Musikwissenschafterin und Kuratorin Maria Herold zuständig –, wodurch sich schwer Kontinuitäten herstellen lassen, zweitens ist die Qualität der Wienwoche von den eingereichten Projekten abhängig, drittens findet sie dezentral über Wien verteilt statt.

Nicht ausschließen

Gleichzeitig sind all diese Nachteile auch die Vorteile der Wienwoche: Die wechselnde Leitung sorgt für einen frischen Blick, die Möglichkeit, Projekte einzureichen, schafft echte Teilhabe, und das Verteiltsein auf Wien unterstreicht eine der wichtigsten Anliegen des Festivals, nämlich die ganze Stadt mit aktivistischer Kunst zu durch- oder unterwandern. "Back to Normality" lautet das heurige Motto, das mit dem pandemiedurchseuchten Schlagwort "neue Normalität" spielt. Denn die Wienwoche stellt sich darunter eine ideale Gesellschaft vor, in der nicht ausgeschlossen wird, wer nicht der Norm entspricht. "Aktuell erscheinen die Entwicklungen vielfach als ru¨ckwa¨rtsgewandt und versprechen kaum Aussicht auf grundlegende, zukunftsweisende und progressive Erweiterungen der Norm", heißt es sorgenvoll im Programmheft. Man will beipflichten, denkt man daran, zu welchem Radau kürzlich die Kurzhaarfrisur einer Buhlschaft führte, um nur ein Beispiel zu nennen.

Das Coming-out der Kinder

Wen das schon zum Auszucken brachte, der möge der Wienwoche eher fernbleiben. Dort trägt so manche Frau nämlich Bart wie bei der von Sara-Lisa Bals inszenierten Performance und Prozession Cumernustag, bei der die Sage der heiligen Kümmernis feministisch-selbstermächtigend umgedeutet wird. Die Performance-Gruppe Ausländer wird im Schönbrunner Zoo für Menschen, Tiere und Pflanzen ein Konzert geben – auf der Metaebene geht es um das Prinzip des Mutualismus: Mensch und Natur müssen wieder zusammenfinden, der Mensch auf die Natur hören.

Elf der 20 Projekte werden übrigens dann doch an einem zentralen Ort stattfinden, nämlich im Sandleitenhof, einer kommunalen Wohnhausanlage in Ottakring. Dort gibt es Ausstellungen zu sehen, die sich mit Themen wie künstlicher Intelligenz oder Ökosystemen beschäftigen; auch Identität spielt in der Ausstellung, die ein Buch begleitet, Queering The Family Album, eine Rolle: Dort erzählen Eltern, Großeltern oder Tanten, wie sie das Coming-out ihrer Kinder erlebt haben. (Amira Ben Saoud, 8.9.2021)