Nutzerdaten sind so etwas wie das Öl oder das Gold des 21. Jahrhunderts, um einen oft gemachten Vergleich zu strapazieren. Die chinesische Regierung, selbst unangefochtener Weltmeister im Sammeln der Daten ihrer Bürger, greift nun auch auf den Rohstoff der chinesischen Tech-Konzerne zu.

Anfang Juli traf es den Fahrdienstleister Didi, das chinesische Uber. Der Download der beliebten App war in chinesischen Stores nicht mehr möglich, dabei war das Unternehmen gerade erst in New York an die Börse gegangen.

Zur Begründung hieß es, man mache sich Sorgen, dass die rund 380 Millionen Nutzerdaten in falsche, sprich amerikanische Hände gelangen könnten. Geplante Börsengänge von weiteren Tech-Unternehmen wurde daraufhin kurzerhand abgesagt.

Regulatorische Schlupflöcher

Gerade erst hat Peking nachgelegt: Chinas Wertpapieraufsicht will regulatorische Schlupflöcher schließen: Tech-Riesen sollen daran gehindert werden, über Beteiligungsgesellschaften in Steuerparadiesen in den USA an die Börse zu gehen. Peking fürchtet, dass chinesische Unternehmen dort gezwungen werden, mit den Nutzerdaten transparenter umzugehen, oder diese sogar an die amerikanische Regierung weiterzureichen.

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Alibaba ist es seit kurzem untersagt, Algorithmen zu verwenden, die Kaufentscheidungen beeinflussen.
Foto: Ap/Mark Schiefelbein

Hart trifft es auch den Megakonzern Alibaba. Dessen Gründer war im vergangenen Jahr nach dem von der Regierung abgesagten Börsengang seiner Tochter Ant Group für einige Monate verschwunden. Seitdem er wieder aufgetaucht ist, ist der sonst sehr gesprächige Multimilliardär medial verstummt.

Alibaba und anderen Unternehmen ist es seit vergangenem Freitag untersagt, Algorithmen zu verwenden, die Kaufentscheidungen beeinflussen. Als Begründung führt die Regierung an, die "Privatsphäre der Nutzer solle besser geschützt werden". Eine absurde Forderung in einem Land, in dem die Regierung Gesichtserkennungssoftware einsetzt, um seine Bürger im Alltag zu überwachen.

Nicht hundertprozentig geklärt ist die Reihe der chinesischen Tech-CEOs, die in den vergangenen Wochen das Handtuch warfen: Richard Liu, Gründer des Megakonzerns JD.com, kündigte erst vergangenen Montag an, sich aus dem Tagesgeschäft zurückzuziehen. Colin Huang, Gründer von Alibaba-Konkurrent Pinduoduo, trat ebenfalls zurück. Und soeben verabschiedete sich Zhang Yiming, Gründer von Bytedance, der Firma, die hinter der Gehirnfritteuse-App Tiktok steckt.

Verbotene Investitionen

Anschließend war der Bildungssektor an der Reihe. Nachhilfe und Bildungsangebote ausländischer Unternehmen wurden quasi über Nacht verboten. Investitionen ausländischer Unternehmen wurden verboten.

Firmen wie Blackrock, Baillie Gifford und SoftBank’s Vision Fund hatten massiv in den Sektor investiert. Die Branche war bisher rund 100 Milliarden Dollar schwer und wuchs stetig. Nicht zuletzt sind auch Tausende von Lehrern betroffen, die nun ihre Arbeit verlieren.

Aber auch in anderer Hinsicht weitet Chinas Staatspräsident Xi Jinping seine Kontrolle über das Leben seiner Bürger aus. Chinesische Schüler hatten es ohnehin nie leicht. Die chinesischen Schriftzeichen zu erlernen erfordert einen hohen Aufwand. Hinzu kommt das Gaokao, wie die chinesische Matura heißt.

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Richard Liu, Gründer des Megakonzerns JD.com, kündigte erst vergangenen Montag an, sich aus dem Tagesgeschäft zurückzuziehen.
Foto: AP/Schriefelstein

Wer keine Bestnoten hat, muss auf eine mittelmäßige Uni, bekommt einen mittelmäßigen Job, hat weniger Chancen auf dem Heiratsmarkt. Kein Wunder, dass sich viele Chinesen in eine Onlinewelt flüchten.

Damit aber ist jetzt Schluss: Die Regierung hat den größten Anbieter von Onlinegames, Tencent, dazu aufgefordert, die Onlinespielzeit pro Woche auf gerade einmal drei Stunden zu begrenzen.

Überhaupt: Chinesische Männer seien viel zu verweichlicht und "feminisiert". Schuld daran seien degenerierter K-Pop und eine obsessive Fan-Kultur, importiert aus Ländern wie Japan und Südkorea. Aus diesem Grund wurde in den vergangenen Wochen gleich einmal der Unterhaltungsbranche ein Riegel vorgeschoben: "Exzessive Branchengehälter" seien zu ahnden.

Manche dieser Vorschriften scheinen im Sinne der chinesischen Bürger zu sein und ihrem Schutz zu dienen. Garniert werden diese Entwicklungen mit einer für westliche Ohren befremdlichen Rhetorik. Vergangene Woche machte der Essay eines jungen Autors die Runde beziehungsweise wurde er von Parteiorganen geteilt. Der Titel lautete: "Jeder kann sehen, dass tiefgreifende Veränderungen im Gange sind".

"Heldentum, Rechtschaffenheit"

Darin heißt es, der "revolutionäre Geist, Heldentum und Rechtschaffenheit" müssten zurückkehren. Und die aktuellen Entwicklungen und Vorschriften begrüßt der Autor mit den Worten: "Wir müssen die Manipulation der Märkte durch das Großkapital bekämpfen, plattformbasierte Monopole schließen und verhindern, dass schlechtes Geld das Gute verdrängt. Wir müssen den Kapitalfluss zu Hightech-Unternehmen, Herstellern und Unternehmen der Realwirtschaft sicherstellen."

Auch Xi Jinping selbst raunt immer wieder von "bald stattfindenden, großen Veränderungen, die es seit hundert Jahren nicht mehr gegeben habe". (Philipp Mattheis aus Schanghai, 8.9.2021)