Eine Prognose von Intel besagt, dass Chips im Jahr 2030 rund 20 Prozent der Kosten von Fahrzeugen ausmachen werden.

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Gamer sind sich der Thematik längst aufgrund teurer Grafikkarten und schwer zu ergatternder Nextgen-Konsolen bewusst, doch auch die Autobranche bleibt davon nicht verschont: Die Rede ist von der Chipkrise, die seit Monaten ganze Branchen ausbremst und für Unruhe sorgt. Zu spüren ist dies auch wieder auf der derzeit in München stattfindenden Internationalen Automobilausstellung (IAA).

Autos als "fahrende Computer"

Denn Autos sind längst nicht mehr bloß Räder mit einem Motor, sondern werden inzwischen auch gerne als "fahrende Computer" bezeichnet: Vollgepackt mit moderner Elektronik, ermöglichen sie den Fahrgästen On-Board-Entertainment und moderne Fahreigenschaften. Der Trend zu Einpark- und Fahrassistenten bis hin zur Realisierung der Utopie vom selbstfahrenden Auto wird diese Entwicklung ebenso weiter befeuern wie die erhöhte Nachfrage nach Elektroautos.

Das zeigt sich auch in aktuellen Prognosen. So erwartet man beim deutschen Hersteller Volkswagen, dass die Umsätze der Branche mit Software im Jahr 2030 bei 1,2 Billionen Euro liegen werden – was rund einem Viertel des globalen Mobilitätsmarktes entspricht. VW selbst sieht autonome Fahrzeuge als das nächste große Ding, und dafür braucht man entsprechende Chips. Eine Prognose von Intel wiederum besagt, dass Chips im Jahr 2030 rund 20 Prozent der Kosten von Fahrzeugen ausmachen werden – fünfmal mehr als 2019. Entsprechend stark leidet die Branche nun an den gebremsten Möglichkeiten durch den globalen Halbleitermangel.

Daimler erwartet, dass die Krise bis 2023 dauert

So gut wie alle Manager der großen Automarken äußerten sich in Interviews und bei Präsentationen auf der IAA zur laufenden Krise. Zugleich variieren die Prognosen, wie lange diese noch andauern wird. "Ich rechne damit, dass die grundsätzliche Anspannung in den Lieferketten in den nächsten sechs bis zwölf Monaten andauern wird", sagt etwa BMW-Chef Oliver Zipse am Montag auf der Automesse IAA in München.

Auch der weltweit führende Autozulieferer Bosch geht davon aus, dass sich der Engpass demnächst zwar etwas abmildert, 2022 die Versorgung aber sehr knapp und die Lage angespannt bleibt. Daimler-Chef Ola Källenius rechnet sogar erst 2023 mit einer Entspannung, weil die Nachfrage nach Halbleitern in mehreren Branchen stark steige und die Produktion nicht nachkomme.

Renault-Chef Luca de Meo betont, dass die Versorgungslage im laufenden dritten Quartal schwieriger als erwartet sei. Im kommenden Vierteljahr dürfte es aber besser werden. Der französische Autobauer hält derzeit an seiner Prognose fest, wonach wegen der Engpässe in diesem Jahr 200.000 Autos weniger als ursprünglich gebaut werden können.

Die Gründe für die Knappheit

Die Branche leidet derzeit besonders darunter, dass in Malaysia und Thailand im Kampf gegen die Corona-Pandemie Fabriken schließen mussten. Solange diese Länder niedrige Impfquoten hätten, ist wenig Besserung in Sicht.

Hinzu kommt, das die Nachfrage nach eigenen Autos in Zeiten der Pandemie weltweit gestiegen ist. Die gesamte Branche befinde sich derzeit in einer Nachinvestitionsphase, die auch die Chipbranche einschließe, sagt BMW-Chef Zipse. Derartige Phasen dauerten üblicherweise 18 Monate, von denen ungefähr sechs Monate geschafft seien. Langfristige Engpässe erwartet er nicht: Die Autobranche bleibe für die Chipindustrie ein attraktiver Partner. Was diese Aussage für andere Branchen – also etwa die Unterhaltungselektronik – bedeutet, bleibt in diesem Fall offen.

Experten sind besorgt

Denn das Thema beschäftigt längst nicht nur die Autobranche, sondern zieht sich durch ganze Volkswirtschaften – zumal diese inzwischen weitgehend digitalisiert und somit von den Chips abhängig sind. Dies zeigt sich unter anderem im deutschen ZEW-Index des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, der in seiner aktuellen Version am Dienstag präsentiert wurde und die Stimmung unter Börsenprofis zur Konjunktur widerspiegelt.

Der Index ist den vierten Monat in Folge gesunken – und als Gründe für den Pessimismus werden unter anderem explizit die Lieferengpässe genannt. Die Knappheit an Vorprodukten – insbesondere Halbleitern – halte an und werde den Ausstoß der Industrie weiter dämpfen, heißt es etwa vom Chefökonom der VP Bank, Thomas Gitzel.

Infineon reagiert mit Werk in Villach

Auch beim Halbleiteranbieter Infineon rechnet man erst für das kommende Jahr mit Entspannung bei den Halbleiterengpässen. Laut Peter Schiefer, Chef der Automotive-Sparte bei Infineon, dauert es noch länger, bis die großen Chipauftragsfertiger ihre Kapazitäten erhöht haben. "Hier sehe ich bis 2022 strukturelle Engpässe. Aktuell besteht in allen Branchen ein sehr hoher Bedarf, zugleich dauert es aber eine gewisse Zeit, bis die vielen bereits angekündigten Investitionen umgesetzt sind", sagt er am Dienstag gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

In den eigenen Fabriken dürfte es dagegen schneller gehen, bis die Folgen der Corona-Unterbrechungen in Malaysia überwunden seien, sagt Schiefer. Hier seien die Aussichten für das vierte Quartal besser. Schon jetzt entspanne sich die Corona-Lage, fast alle eigenen Mitarbeiter seien geimpft. Mitte September eröffnet das Unternehmen eine weitere Chipfabrik in Villach.

Intel reserviert Kapazitäten

Der US-Chipkonzern Intel will wiederum Kapazitäten in seiner irischen Chipfabrik für die Automobilbranche freihalten. Konzernchef Pat Gelsinger sagte am Dienstag auf der Automesse IAA, Intel habe ein Programm ins Leben gerufen, um den Autobauern die Herstellung der von ihnen benötigten Chips in den Intel-Fabriken zu ermöglichen.

Mehrere Autobauer und wichtige Zulieferer, darunter BMW, Volkswagen, Daimler und Bosch, haben Intel zufolge ihr Interesse an dem Programm signalisiert. Ein Sprecher wollte aber nicht sagen, ob Intel diese Firmen bereits als Kunden dafür gewonnen habe.

Keine Angst vor Überkapazitäten

Die Gefahr von Überkapazitäten in der Chipbranche beim Bau weiterer Werke sieht Infineon-Manager Schiefer übrigens nicht. "Der Halbleiteranteil in den Autos ist gestiegen und wird weiter zunehmen", sagt er. Selbst bei gleichbleibenden Autoverkaufszahlen seien Jahr für Jahr mehr Chips nötig: "Der Halbleiteranteil im Elektroauto ist fast doppelt so hoch wie beim Verbrenner, das ist ein starker Treiber für Chips im Automarkt." Bleibt zu hoffen, dass auch für andere Branchen dann noch genug Chips übrigbleiben. (APA, Reuters, red, 7.9.2021)