Die Affäre "Storchennest" sorgt immer wieder für Proteste gegen den tschechischen Premier. Wirklich geschadet hat sie ihm bisher nicht.

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Es sieht ganz so aus, als könnte Tschechiens Premier Andrej Babiš das Ruder noch herumreißen: Einen Monat vor der Parlamentswahl am 8. und 9. Oktober führt seine liberal-populistische Partei Ano in den Umfragen wieder recht souverän. Noch bis vor kurzem hatte der Milliardär Babiš nicht annähernd so gute Karten. Als möglicher Regierungschef wurde noch im Mai der 41-jährige Ivan Bartoš gehandelt, der Vorsitzende der Piratenpartei, der mit Fachwissen, unbekümmerter Rhetorik, Themenführerschaft in Umweltfragen und langen Dreadlocks alle an die Wand zu spielen schien. Meinungsforscher sagten dem Bündnis der Piraten und der liberalen Bürgermeisterpartei Stan im Frühjahr einen Vorsprung von bis zu zwölf Prozentpunkten vor Ano voraus.

In einigen Umfragen lag die Partei von Premier Babiš gar nur auf Rang drei. Auf den zweiten Platz hatte sich das neue Bündnis Spolu (zu Deutsch: Gemeinsam) geschoben. Gemeinsame Sache machen dort drei konservative bis rechtsliberale Parteien, die eigentlich eine lange Trennungsgeschichte hinter sich haben: die konservativen Bürgerdemokraten (ODS), die 1991 vom späteren Präsidenten Václav Klaus gegründet wurden und unter seinem Einfluss immer EU-kritischere Züge annahmen; die Christdemokraten (KDU-ČSL), die vor allem in den ländlichen Gebieten Mährens punkten und bei den letzten Wahlen die Fünf-Prozent-Hürde nur knapp übersprangen; und die liberal-konservative Top 09, die 2009 mithilfe Karl Schwarzenbergs entstand – als Abspaltung von den Christdemokraten und in Abgrenzung zum Euroskeptizismus der von Korruptionsskandalen gebeutelten ODS.

Starker Mann Zeman

Viele Jahre später bündeln die drei nun ihre Kräfte gegen Babiš. Dasselbe gilt für das Tandem aus Piraten und Stan. Genau darin liegt aber ein Problem, das beide Gruppierungen auch in Zeiten besserer Umfragen nicht wegleugnen konnten: Bei der Regierungsbildung hat auch Präsident Miloš Zeman ein gewichtiges Wort mitzureden.

Der ehemalige Sozialdemokrat hat sich immer mehr in der Rolle des polternden und migrationsfeindlichen Populisten eingeigelt und pflegt ein Naheverhältnis zum amtierenden Premier. Bereits mehrfach hat er erklärt, dass er den Chef der stärksten Partei – notabene: nicht des stärksten Bündnisses – mit der Regierungsbildung beauftragen werde. Und das wäre so gut wie sicher Babiš, egal wie die Wahl ausgeht. Babiš müsste zwar immer noch eine Mehrheit im Parlament suchen, aber eine Regierung ohne ihn läge in weiter Ferne.

In den Umfragen liegt Babiš mit seiner Catch-all-Partei derzeit aber ohnehin voran. Ano kann demnach mit 27 Prozent oder mehr rechnen. Die Bündnisse von Piraten und Stan sowie Spolu kämpfen mit jeweils etwa 21 Prozent um Platz zwei. Ins Abgeordnetenhaus einziehen würden laut der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Median außerdem die rechtspopulistische Partei Freiheit und direkte Demokratie (SPD) von Tomio Okamura mit neun Prozent sowie die Kommunisten (KSČM) mit sechs Prozent. Die mitregierenden Sozialdemokraten (ČSSD) hingegen müssen gar um den Wiedereinzug ins Parlament bangen, wodurch Ano den Koalitionspartner verlieren könnte.

Corona und Migration

Seinen Aufschwung hat Babiš auch der zuletzt vergleichsweise guten Entwicklung in Sachen Corona-Lage zu verdanken – obwohl Tschechien lange zu den Ländern mit den höchsten Infektionszahlen gehört hat. Außerdem ist es Babiš gelungen, das Thema Migration vermehrt auf die Tagesordnung zu setzen und dabei mit seinem Antiflüchtlingskurs zu punkten.

Allerdings kämpft Babiš nicht nur gegen die politische Konkurrenz, sondern auch gegen die Justiz. Immer wieder tauchen Vorwürfe auf, die von ihm gegründete Holding Agrofert profitiere unrechtmäßig von EU-Geldern. In der Causa um Förderungen für sein Freizeitressort Storchennest wird er sogar strafrechtlich verfolgt. Gerade dieser Tage nimmt die Affäre mit neuen Zeugenbefragungen wieder Fahrt auf. Babiš weist jede Schuld von sich. Sein Mantra: Wäre er nicht in der Politik, dann wäre das alles überhaupt kein Thema. (Gerald Schubert, 8.9.2021)