Ein Porträt von Ayham Kamanji, einem der sechs Ausbrecher.

Foto: JAAFAR ASHTIYEH / AFP

Wie gräbt man einen Tunnel, wenn man kein Werkzeug hat – nicht einmal Essbesteck? Diese Frage stellen sich nach dem Ausbruch von sechs Männern aus dem Hochsicherheitsgefängnis Gilboa im Norden Israels viele. Die sechs Männer im Alter zwischen 26 und 49 Jahren waren wegen mehrerer Terrorakte zu teils lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt worden. Nun sind die noch vor kurzem vermeintlich bestens bewachten Männer auf der Flucht, mehr als tausend Polizisten suchen nach ihnen, unterstützt von Geheimdienst und Militär.

Doch seit dem Ausbruch in der Nacht auf Montag fehlt von den Gesuchten jede Spur. Unter den Ausbrechern findet sich eine der zentralen Symbolfiguren der zweiten Intifada, Zakariya Zubeidi. Er stammt aus der Stadt Jenin im Norden des Westjordanlandes. Dort wurden zur Feier des Ausbruchs Gewehrsalven abgefeuert. Und gefeiert wurde auch in der palästinensischen Social-Media-Sphäre: Dies sei nur der erste Schritt, der Fall der Mauer, die weite Teile des Westjordanlandes und den Gazastreifen von Israel trennt, der zweite.

Loch im Boden

Es ist kaum vorstellbar, dass der Ausbruch ohne Hilfe von außen gelang. Die Polizei geht derzeit davon aus, dass die Männer über ein ins Gefängnis geschmuggeltes Handy verfügten. Sie schafften es, unbemerkt vom Gefängnispersonal in womöglich wochenlanger Arbeit ein Loch in den Boden zu graben, sich mit dem Kanalsystem des Gefängnisses zu verbinden und durch dieses zu entkommen.

Am Dienstag wurde bekannt, dass Zubeidi erst am Tag vor dem Ausbruch auf eigenen Wunsch in die Zelle verlegt worden war. Das alles wirft Fragen über Versäumnisse der Gefängnisbehörde auf. Dass die Architekturfirma, die den Zuschlag für Planungen in mehreren israelischen Gefängnissen erhalten hatte, einen detaillierten Plan der Gilboa-Hochsicherheitsanstalt und anderer Einrichtungen auf ihrer Webseite öffentlich zugänglich gemacht hatte, sorgt für zusätzliche Kritik.

Nun besteht die Sorge, dass eine Eskalation in Jenin auch auf andere Gegenden des Westjordanlands übergreifen könnte. Die Terrorgruppe Islamischer Jihad erklärte am Dienstag laut einer Meldung der Agentur Shehab, dass jeder Schaden, der den Ausbrechern zugefügt wird, eine "rote Linie" sei. Man werde die Häftlinge "mit allen Mitteln schützen". (Maria Sterkl aus Jerusalem, 7.9.2021)