In einem Gebirgstal nördlich von Kabul ist derzeit viel von einem jungen Mann die Rede, dessen Vater den Beinamen "Löwe von Panjshir" trug. Die symbolische Verbindung eines einzelnen Menschen mit einem Löwen ist allerdings nicht exklusiv, sondern kommt in vielen Kulturen und zu ganz unterschiedlichen Zeiten vor. So taucht etwa eine besondere Form der Löwendarstellung in der römischen Kaiserzeit in einer abgelegenen Gebirgsregion Kleinasiens auf Sarkophagen auf.

Der Löwe auf dem Deckel

Im Hof der Forstverwaltung des beschaulichen Dorfes İbecik im Südwesten der türkischen Provinz Burdur liegt ein satteldachförmiger Deckel aus Kalkstein. Auf seinen Dachflächen ruht in majestätischer Haltung ein großer Löwe mit hocherhobenem Kopf und prächtiger Mähne. Sein Maul ist aufgerissen und lässt die furchteinflößenden Fangzähne erkennen. Aus großen Augen scheint er zudem den Betrachter zu fixieren, während seine linke Vorderpranke auf seiner Beute, dem Kopf eines Stiers, ruht. Der Deckel, den die Forstleute hier aufgestellt haben, stammt von einem Sarkophag. Dieser stand ehemals in der Nekropole der nahegelegenen antiken Kleinstadt Bubon, wobei der zugehörige Kasten heute verschollen ist.

Löwensarkophagdeckel aus Bubon.
Foto: ÖAW-ÖAI/Kibyratis-Projekt, O. Hülden

Bubon wurde vermutlich im 3. Jh. v. Chr. gegründet, wobei seine Geschichte wegen fehlender schriftlicher Überlieferung weitgehend unbekannt ist. Anfangs von Tyrannen regiert, bildete es später gemeinsam mit Kibyra, Balbura und Oinoanda einen Vierstädtebund (Tetrapolis). Als die Römer nach Kleinasien übergriffen, lösten sie das Bündnis im Jahr 84 v. Chr. auf. Während Kibyra Teil der Provinz Asia wurde, schlugen sie die beiden anderen Städte und Bubon dem südlich benachbarten Lykien zu. In der römischen Kaiserzeit fiel der Ort schweren Erdbeben zum Opfer und wurde wiederaufgebaut. Eine gewisse Bekanntheit erlangte er in jüngerer Zeit durch den Fund von bronzenen Kaiserstatuen, die in einem Gebäude für den Kaiserkult (Sebasteion) aufgestellt waren und nach Raubgrabungen in alle Welt verstreut worden sind. In christlicher Zeit war Bubon schließlich Bischofssitz, bis sich seine Spuren im 6./7. n. Chr. verlieren.

Aus dieser kleinen, auf circa 1.200 Metern Höhe gelegenen Stadt stammte also der ansonsten unbekannte Besitzer des Sarkophags. Trotz einer gewissen Provinzialität lässt sich die Löwenskulptur stilistisch und mithilfe von inschriftlich datierten Vergleichen von anderen Orten in der Nähe zeitlich in das 2. oder 3. Jh. n. Chr. einordnen. Der Sarkophag ist demnach in der römischen Kaiserzeit entstanden, also in einer Zeit, in der innerhalb des Reiches die Pax Romana, der "Römische Friede", herrschte. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, was für eine Botschaft an die Nachwelt der Löwe auf dem Sarkophag vermitteln sollte.

Blick über die von Hochebenen und Bergen geprägte Landschaft bei Bubon.
Foto: ÖAW-ÖAI/Kibyratis-Projekt, O. Hülden

Idylle und Gefahren einer Bergwelt

Die Gegend, in der Bubon lag, trug in der Antike den Namen Kabalis. Sie wird durch weitläufige Hochebenen charakterisiert, deren umgebende Gebirgszonen auf über 2.000 Metern Höhe ansteigen. In den Ebenen wurden weite Teile des fruchtbaren Ackerlands in der Kaiserzeit von Landgütern aus bewirtschaftet, die eine stattliche Größe erreichen konnten und sich im Besitz lokaler, aber auch überregionaler aristokratischer Familien befanden. In den Bergen weidete man das Vieh, was teilweise wohl auch in der Form von Almwirtschaft geschehen ist.

Vor allem für die einfachen Menschen müssen es damals mitunter harte Lebensbedingungen gewesen sein. Während die reichen Landbesitzer häufig fernab ihrer Anwesen residierten und sich nur gelegentlich, etwa zur Jagd, dort aufhielten, musste sich die Mehrheit der Bevölkerung mit den örtlichen Gegebenheiten tagein, tagaus arrangieren. Gefahr drohte nicht nur durch Krankheiten oder ein Ausbleiben der Ernten, sondern auch von wilden Tieren wie Wölfen. Dennoch zeugen die Städte und Dörfer der Region von einem durchaus beachtlichen Wohlstand, der sich auch heute noch an den Ruinen von Bubon ablesen lässt. So verfügte die Kleinstadt über einen großzügigen Marktplatz (Agora), dem wohl ein etwas unkonventionelles Stadion angegliedert war. Außerdem besaß man ein kleines Theater, und Reste von Wasserleitungen dürften auf die Existenz einer Therme hinweisen.

Plan des Stadtzentrums von Bubon.
Foto: ÖAW-ÖAI/Kibyratis-Projekt, O. Hülden/N. Math

Briganten und Separatisten

Entbehrungen wie Annehmlichkeiten kennzeichneten demnach das Leben unseres unbekannten Sarkophagbesitzers aus Bubon. Zu seinen Lebzeiten war er allerdings noch mit einer ganz anderen Bedrohung konfrontiert, die nicht nur seine Heimatstadt in existenzielle Nöte stürzte. So gehörte die Kabalis zu jenen abgelegenen Gebieten, deren Kontrolle und Sicherheit nicht immer leicht zu gewährleisten war. Hinweise auf eine offenbar paramilitärische Polizeitruppe zum Schutz der ländlichen Gebiete existieren in der Region schon in hellenistischer Zeit. Viele Siedlungsplätze sind quer durch alle Zeiten auch in sogenannten Sicherheitslagen, also auf Berggipfeln, zu finden und weisen teilweise Befestigungen oder sehr massive Gebäude auf.

Einer der Hauptgründe dafür muss eine ständige Gefahr durch umherziehende Räuber gewesen sein, die anscheinend nicht einzeln, sondern in größeren Gruppen auftraten. Das Problem dürfte sich zweifellos mal mehr, mal weniger ausgewirkt haben. Im späten 2. Jh. n. Chr. aber geriet die Situation im Umland von Bubon außer Kontrolle. Das wissen wir aus einer Inschrift, in der ein Brief des Commodus an die Bevölkerung überliefert ist. Darin bedankt sich der römische Kaiser für deren Tapferkeit und Einsatz im erfolgreichen Kampf gegen Räuber. Weiter östlich von Bubon, in Pisidien, entfachen Briganten im letzten Drittel des 3. Jhs. n. Chr. sogar regelrechte Aufstände mit separatistischen Bestrebungen. Dabei wurde die Stadt Kremna von den Rebellen erobert und konnte erst mit der Hilfe regulärer römischer Truppen nach einer Belagerung zurückerobert werden.

Zerstörte Sarkophage einer kaiserzeitlichen Bergsiedlung.
Foto: ÖAW-ÖAI/Kibyratis-Projekt, O. Hülden

Ein Zeugnis tapferer Bergbewohner

Warum hat sich unser Sarkophagbesitzer aber nun einen Löwen als Bekrönung für sein Grab ausgesucht? Löwen als Grabmarkierung stellen in verschiedenen Epochen und auch in anderen Gebieten keine Seltenheit dar. Bei dem Exemplar aus Bubon ist aber auffällig, dass es zu einer sehr kleinen und lokal begrenzten Gruppe von Darstellungen gehört, die den Löwen im stets gleichen Schema zeigen. Dass dem Raubtier nicht nur eine Funktion als Grabwächter zukam, macht erneut eine Inschrift aus Bubon deutlich. Aus ihr erfahren wir, dass ein Mann mit dem Namen Kallikles Statuen für seine Frau und Tochter aufstellen ließ, für sich selbst aber eine Löwenskulptur. Offensichtlich wollte sich Kallikles durch das Raubtier repräsentiert wissen, mit dessen Stärke und Tapferkeit er sich identifizierte. Daraus ist der Schluss gezogen worden, dass diese Eigenschaften eng mit dem Selbstverständnis der lokalen Bergbewohner verknüpft worden sein könnten, um in der Gestalt der Grablöwen als Unterscheidungsmerkmale gegenüber der Bevölkerung in den Tälern zu dienen.

Sarkophag aus Bubon: Löwenkopf.
Foto: ÖAW-ÖAI/Kibyratis-Projekt, O. Hülden

Akzeptiert man diese Auffassung, dann hat sich auch unser Sarkophagbesitzer aus Bubon durch den Löwen auf seinem Grab repräsentieren lassen und damit seiner eigenen Tapferkeit und Stärke ein Denkmal gesetzt. Ob er diese Eigenschaften tatsächlich auch im Kampf gegen Räuber eingesetzt hat, wissen wir nicht. In der rauen Bergwelt seiner Heimat waren sie aber zweifellos in vielen Situationen von Vorteil.

Löwensarkophagdeckel in Tefenni.
Foto: ÖAW-ÖAI/Kibyratis-Projekt, O. Hülden

Einem anderen Sarkophagbesitzer ist diese Form der Selbstrepräsentation hingegen deutlich weniger eindrucksvoll gelungen. So findet sich in der Kleinstadt Tefenni der Deckel eines Sarkophags, dessen Löwe zumindest auf den heutigen Betrachter eher wie ein zahmes Raubkätzchen wirkt. (Oliver Hülden, 9.9.2021)