Große Polizeipräsenz beim Prozess in Paris.

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Im Pariser Justizpalast hat sechs Jahre nach den Bataclan-Anschlägen ein Megaprozess begonnen: 20 Angeklagte werden sich acht Monate lang vor 1.800 – anwesenden! – Zivilklägern verantworten müssen. Viele Franzosen stellen den Sinn des Unterfangens in Frage: Es fehlten die drei (toten) Haupttäter, ihre Komplizen seien uneinsichtig – und die 130 Todesopfer würden auch nicht mehr zum Leben erweckt.

Trotzdem ist die monatelange und zweifellos schmerzvolle Aufarbeitung notwendig und richtig. Allein schon um klarzumachen, dass das Rechtssystem nicht mit den gleichen Instinkten der Rache und Gewalt antwortet, sondern nüchtern, überlegt und entschlossen.

Attentatsserie gebrochen

Frankreich hat seit dem 13. November 2015 bewiesen, dass es möglich ist, sich von den Attentaten nicht unterkriegen zu lassen. Die Terrorabwehr wurde verstärkt, die Attentatsserie – vom Anschlag auf die Charlie Hebdo-Redaktion 2015 bis zur Strandpromenade von Nizza – mit einem gewaltigen Ermittlungs- und Überwachungsaufwand gebrochen.

Dennoch lassen sich die Franzosen ihren Alltag nicht vergällen. Weiterleben ohne Hysterie und Angst: Die Citoyens machen es sechs Jahre nach dem Bataclan-Horror vor, trotz der anhaltenden Bedrohung und obwohl seit 2016 viele, aber längst nicht alle Anschläge verhindert werden konnten.

Frankreichs Schwachpunkt

Darin zeigt sich Frankreich stark. Zugleich verdrängt es aber sein größtes gesellschaftspolitisches Problem: die Banlieue-Zonen, aus denen die meisten Attentäter stammen und wo einzelne Jugendliche sehr anfällig sind für die Ideologie von Salafisten und IS-Propagandisten. Das ist der schwache Punkt der terrorversehrten Nation. Und ihn behebt keine Gerichtsverhandlung. (Stefan Brändle, 8.9.2021)